„Objektive
Fakten” gegenüber „nur subjektiven Vermutungen”.
Das ist ein gehöriger Teil der vorherrschenden Wertigkeiten
in den Köpfen - und muss deshalb auch Teil des Umdenkens
für einen echten Wertewandel
sein. Zwangsläufig mit dazu: Die Abkehr von der herrschenden
Wissenschaftsgläubigkeit.
Auch
hier haben wir es mit einer philosophischen Glanzleistung
eines René Descartes auf dem Stand des Jahres 1619
zu tun: Neben dem „Zweifel aus Prinzip”, der
Analytik und dem „Entweder-Oder” sorgte Descartes
auch für die gedankliche Trennung von „Subjekt(ivität)<->Objekt(ivität)”,
die uns bis heute jede Menge Folgeprobleme bereitet (siehe
auch: >>
Zeitreise).
Eines
davon produzierte im Jahr 1632 ein gewisser Galileo Galilei,
als er - auf diesem gedanklichen Ansatz von Descartes basierend
- definierte, was als „Wissenschaft” bezeichnet
werden darf: Die Beschränkung auf „objektive
Erkenntnisse”, auf das Wiegbare, Zählbare und
Messbare - wogegen „nur subjektive” Erkenntnisse
also nicht als Wissenschaft gelten dürften.
„Galilei
bietet uns eine tote Welt: weg mit Klang, Farbe,
Geruch und Geschmack. Wir mussten die Welt
in der Theorie zerstören, bevor wir sie auch
in der Realität zerstören konnten“
R. D. Laing
Seit
damals hat sich über die Generationen somit eine prekäre
Wertigkeit in unserem Denksystem etabiert:
Es gäbe „nur subjektive” Ansichten mit
dem Stellenwert bloßer Spekulation und Vermutung,
daher also ungenau, unsicher und fehlerhaft, störend
und hinderlich, an denen deshalb auch fröhlich gezweifelt
werden darf.
Dem gegenüber gäbe es „objektive Fakten”,
präzise, abgesichert, korrekt und beweisbar und deshalb
auch von unbezweifelbarer Wahrheit.
Bei
dieser Auffassung: wonach richtet man sich wohl, wenn es
darum geht, wichtige Entscheidungen zu treffen? Eben. Entstanden
ist so daraus eine Wissenschaftshörigkeit, die zur
alltäglichen Normalität geworden ist. Noch heute
auf dem gedanklichen Stand der Jahre 1619 und 1632.
Dabei
weiß man es - eigentlich - seit dem 20. Jahrhundert
und seit Einstein besser, selbst wenn 90% der Menschen darüber
nicht viel mehr wissen als das triviale „Alles ist
relativ”. Denn das schon alleine heißt eben:
wenn alles relativ ist, dann gibt es so etwas wie „Objektivität”
nicht. Punkt.
Wissenschaft
und der Mythos „Objektivität”.
Die
„Objektivität” ist immer noch ein Mythos.
Ein Mythos wiederum ist ein Glaubenssatz, von dem man gar
nicht weiß, dass man an ihn glaubt. Und genau das
zeigt sich immer wieder auf sämtlichen Ebenen des Lebens,
wenn „objektive Zahlen, Daten und Fakten” gefordert
werden und wenn darauf verwiesen wird, um z.B. eine Ansicht
oder Entscheidung zu rechtfertigen.
„Heute
sind alle Experten mit dem Charisma von Priestern
ausgestattet. Einige dieser priesterlichen Experten nennt
man
Psychiater, andere Psychologen oder Soziologen und wieder
andere Statistiker. Der Gott, dem sie dienen, spricht nicht
von Rechtschaffenheit oder Güte, von Mitleid oder Gnade,
ihr Gott spricht von Effizienz, Präzision, Objektivität“
Neil Postman
Ein
wesentlicher Knackpunkt ist: Die Wissenschaft genießt
mittlerweile also einen unantastbaren Alleinvertretungsanspruch
des Erkenntnisgewinns mit dem Anspruch von Präzision,
Korrektheit, Sicherheit, Beweisbarkeit und zweifelloser
Wahrheit, auf der Basis „objektiver Fakten”
- was damit eben auch den Berufsstand der Wissenschaftler
entsprechend überhöht.
So haben
Wissenschaftler und Experten aller Art, die auf wissenschaftliche
Erkenntnisse verweisen, einen Freibrief, auch die simpelste
Bauernregel als grandiose Entdeckung zu verkaufen und den
größten Unsinn zu erzählen - kritiklos,
unwidersprochen. Im Gegenteil: in jeder Talkshow präsent
und in politische Kommissionen berufen.
„Wissenschaft
beweist nichts - sie sondiert“
Gregory Bateson
Das
wesentliche Merkmal der Wissenschaft ist der Erkenntnisgewinn
auf der Grundlage von Naturgesetzen mittels mathematischer
Berechnungen und entsprechender dazugehöriger Formeln.
Genau deshalb definierte Galileo Galileii („Das Buch
der Natur ist in Zahlen geschrieben”) Wissenschaft
als Beschränkung auf das Wiegbare, Zählbare und
Messbare - ...weil sich nur das mathematisieren und berechnen
ließe.
Heutiges
Folgeproblem Nr.1: von wegen.
Die Wissenschaft und die Experten haben es geschafft, alles
mögliche zu mathematisieren und zu berechnen. Man muss
es nur unbedingt wollen. So wird u.a. in Soziologie, Psychologie,
Pädagogik, Wirtschaftswissenschaften allen Ernstes
das Denken und Verhalten von Menschen gezählt(!),
in wilde Statistiken gegossen und mit dubiosen Formeln berechnet,
um sich mitsamt dieser „Mathematisierung” das
Etikett der Wissenschaft aufzupappen - als gäbe es
keinen Unterschied zwischen Naturgesetzen und simpler Addition,
Subtraktion, Multiplikation, Division sowie (subjektiver!)
Interpretation irgendwelcher irgendwie ermittelter Zahlen
und gebastelter Statistiken.
Heutiges
Folgeproblem Nr.2: Erfolg durch Berechnung und Kalkül
Entstanden ist daraus der felsenfeste Glaube, dass jedwedes
Problem rein mathematischer Natur sei, dass nur noch ein
paar mehr Zahlen ermittelt werden müssten, um mit der
richtigen Formel jedes Entscheidungsrisiko präzise
kalkulieren und für jedes Problem die Ursache und die
passende Lösung berechnen zu können. Und weil
das so ist, ist bei den komplexen Problemen unserer Zeit
auch der Computer das ideale und sogar einzige Mittel, um
überhaupt noch etwas verstehen und ausrichten zu können.
Exemplarisch dafür der „Treibhauseffekt”
und „Klimawandel”, die nichts anderes sind als
...errechnete(!) Probleme für die Lösungen
errechnet werden (CO2-Ausstoß, „Emissionshandel”,
etc).
Diese
beiden Folgeprobleme: nur beispielhaft. Und es fällt
kaum jemandem auf. Im Gegenteil klammert man sich weiterhin
gedanklich an den Mythos „Objektivität”
- aus einem sehr subjektiven Verlangen nach Absicherung.
Einstein und heutigem besseren Wissen zum Trotz.
Abkehr
von der künstlichen Verwisssenschaftlichung.
Mindestens
ebenso prekär an dem Ganzen ist das daraus entstandene
Expertentum. Wenn nämlich geglaubt wird, dass nur die
Wissenschaft mit ihren „objektiven” Erkenntnissen
in der Lage sei, Probleme mitsamt deren Ursachen und Lösungen
zu ermitteln, dann sind alle anderen ahnungslose Laien,
deren Ansichten inkompetent, irrelevant, falsch und wertlos
sind.
Es sind
dann Experten, die uns sagen, was zu tun und zu lassen ist.
Und denen so die eigentliche Entscheidungsgewalt nicht nur
über das Verhalten der Menschen überlassen wird,
sondern auch darüber, was wir denken; was
wir (z.B.) für richtig und falsch halten, für
wichtig und unwichtig.
Umso
bedeutsamer, als dass es keinen einzigen Lebensbereich mehr
gibt, in dem das nicht der Fall wäre. Es muss deshalb
jeden von uns interessieren, wie das geschieht, wie Entscheidungen
von was beeinflusst werden, von der eigenen Lebensgestaltung
über Politik und Wirtschaft bis zu der Frage, in welcher
Welt wir in Zukunft leben wollen.
Auch
das gehört zu einem Umdenken, das heute immer öfter
gefordert wird, unweigerlich mit dazu: Das Denksystem à
la Decartes in den Kategorien von „Subjekt(ivität)<->Objekt(ivität)”
muss durch das „3-Welten-Modell” nach Karl Popper
ersetzt werden. Dazu die Abkehr von Wissenschaftshörigkeit
und künstlicher Verwissenschaftlichung von Bereichen,
die schlicht und einfach keine Wissenschaften sind.
|