Das
Entweder-Oder ist eine große Herausforderung, gerade
wenn es um Entscheidungen geht. Man will eben die richtige
Entscheidung treffen und nicht die falsche. Dabei liegt
das eigentliche Problem weniger in der Entscheidung,
sondern vielmehr in der Unterscheidung:
Im 50-Prozent-Denken.
Auch
das „Entweder-Oder” geht ursprünglich auf
das Jahr 1619 und René Descartes zurück, als
er den „Zweifel aus Prinzip” erfand: das systematische
Ausschlussverfahren, das gedankliche Trennen, Spalten und
Isolieren von Möglichkeiten (siehe auch: >>
Zeitreise).
Damit
hat Descartes ganz nebenbei auch dafür gesorgt, dass
seit dem die Rationalität, Vernunft und Logik zum Maß
aller Dinge geworden sind, weil schließlich nur das
die „gute Überlegung” ausmacht - während
alles andere, Intuition, Instinkt und Bauchgefühl dagegen
nur impulsiv, unvernünftig und unüberlegt sind.
Und schon befindet man sich mitten im „Entweder-Oder”.
So beschäftigen
sich auch reihenweise Experten hochkompetent mit der Frage,
ob nun entweder Ratio und Vernunft oder
Intuition und Bauchgefühl richtige(re) Entscheidungen
ermöglichen oder vielleicht doch eine Mixtur aus beidem(?)
- ...und bemerken dabei ihren Denkfehler nicht, beides überhaupt
als Gegensätze zu betrachten, die sich einander ausschließen
würden.
Gedankliche
Schubladen: Die Welt in schwarz und weiß.
Diese
Erkenntnis klärt u.v.a. auch, warum der Computer in
unserer Kultur einen solch immensen Stellenwert quasi bis
zur Vergötterung erreichen konnte. Wo das „Entweder-Oder”
dominiert, wird auch das digitale „0 oder 1”,
mit dem eiin Computer arbeitet, zur perfekten Rationalität,
„ungetrübt von menschlichen Schwächen”,
der ideale Entscheider.
Zum
anderen erklärt sich aus der einseitigen Dominanz des
„Entweder-Oder” auch das fragwürdige Extrem,
alles mögliche als Wettbewerb zu betrachten, in dem
es überall nur noch „Sieger” und „Verlierer”
gibt: „Entweder-Oder”, „Es kann nur
einen geben” und „Nur der Stärkere überlebt”.
Die Folgen daraus reichen von u.a. Egoismus, Neid und Missgunst
in einer „Ellbogengesellschaft”, über Mobbing
und Selbstzweifel bis zu Depression, Süchten aller
Art, Zerstörungswut, Amokläufen und Selbstmorden,
etc.
Der
beliebte Satz „Man kann schließlich auch nicht
ein bisschen schwanger sein! Entweder-Oder!” zeigt
wiederum eine weitere Problematik mit etlichen Folgeproblemen:
Die herrschende Kategorisierungswut, alles mögliche
auf irgendeine Weise irgendwie ein- und unterteilen zu „müssen”.
Das
beginnt ganz trivial schon damit, dass ein Pinguin ein Vogel
ist, obwohl er nicht fliegen kann, und ein Wal kein Fisch
ist, obwohl er schwimmt; und reicht bis zur Politik, wenn
der deutsche Bundesminister für Wirtschaft nicht für
Arbeit zuständig ist, und die Bundesministerin für
Arbeit und Soziales nicht auch für Familien - relativ
unsinnig, aber schön ordentlich getrennt.
„Der
Körper enthält nichts, was dem Geist zugerechnet
werden könnte, und der Geist beinhaltet nichts,
was zum Körper gehörig wäre“
René Descartes
Besonders
eindrücklich ist hierbei das Thema Medizin und Gesundheit:
Seit René Descartes und seit 1619 nämlich hat
man mitsamt „Entweder-Oder” und dem Trennen
von „Körper+Geist” das Problem, eine Erkrankung
auf entweder körperliche oder psychische Ursachen zurückzuführen
- und noch größere Probleme, wenn es denn beides
(„psychosomatisch”) sein soll.
Ähnlich,
wenn seit 10 Jahren die Anzahl der von Depression betroffenen
Menschen permanent steigt. Doch nicht etwa, weil immer mehr
Menschen tatsächlich unter Depression leiden würden,
sondern weil immer mehr Ärzte die Diagnose „Depression”
stellen, was sie früher vielleicht als „Erschöpfung”
oder „Stress” diagnostiziert haben. Ein reines
Kategorisierungsproblem.
Und
mehr noch: Auch die scheinbare Klarheit darüber, ob
ein Mensch nun entweder gesund ist oder krank, ist eine
genau solche trügerische Illusion, wie die Frage, welche
Nahrungsmittel und Lebensweise entweder gesund oder ungesund
sind. In der Medizin nämlich hat man mindestens noch
drei völlige Rätsel: „Was ist Leben?”,
„Was ist Tod?” und... „Was ist Gesundheit?”.
Ignorierte
Realität: Das „Dazwischen” und „Sowohl-als-auch”.
Wenn
es also nun um Entscheidungen geht (um Entscheidungen aller
Art, von der großen Politik über Wirtschaft bis
zum Privatleben), betreibt man dabei ein rationales Ausschlussverfahren
nach dem „Entweder-Oder” - man treibt sich quasi
selbst in die gedankliche Enge, bis man nur noch eine oder
„keine andere Wahl mehr” hat ...und hält
das sogar für sehr vernünftig.
In der
vollen Konzentration darauf, am Ende die „richtige”
Entscheidung zu treffen (eben: entweder richtig oder falsch),
verpasst man allerdings völlig, dass das eigentliche
Problem vielmehr in der Unterscheidung liegen kann.
So zum
Beispiel eben im Falle der Gesundheit: man meint, entweder
(und: natürlich lieber) gesund zu sein oder (äußerst
ungern) krank. Dafür achtet man auf seine Gesundheit,
ernährt sich gesund, geht brav zur ärztlichen
Vorsorge, etc ...trifft also lauter dem entsprechende Entscheidungen.
Tatsächlich
jedoch können noch nicht einmal Mediziner beurteilen,
wann genau ein Mensch gesund und ab wann genau krank ist.
Sondern vielmehr handelt es sich hierbei um ein schwankendes,
dynamisches Gleichgewicht („Homöostase”),
Also kein „Entweder-Oder”, sondern eher so etwas
wie ein permanentes „Dazwischen”. Schwierig
bis unmöglich dafür auch „richtige”
Entscheidungen zu treffen.
Dasselbe
ist überall in der belebten Natur anzutreffen. Mehr
noch: aus der Physik ist auch das Phänomen des Lichts
bekannt, das sowohl in Form von verschwindend kleinen atomaren
Teilchen besteht - als auch in Wellen, die sich über
enorm große Strecken ausbreiten können.
Für das übliche Denken im „Entweder-Oder”-Muster
ein kaum vereinbarer Widerspruch, doch das „Sowohl-als-auch”
ist in der Realität die Regel. Das hat Werner Heisenberg
mit seiner „Unschärferelation” gezeigt,
worauf Niels Bohr den Begriff „Komplementarität”
(Gegensätzlichkeit) in die Atomphysik einführte.
Immerhin: zwei Nobelpreisträger.
Man
darf also davon ausgehen, dass es sich um ein Prinzip handelt
und das rein gedankliche(!) Trennen und Spalten
nach dem „Entweder-Oder” zwar in unserem Denksystem
quasi vollautomatisch abläuft und als sehr vernünftig
gilt, ...doch „trotzdem” völlig falsch
ist:
„Die
Spaltung hat sich in den auf Descartes folgenden
drei Jahrhunderten tief im menschlichen Geist eingenistet.
Und es wird noch viel Zeit vergehen, bis sie durch eine
wirklich andersartige Haltung gegenüber
der Wirklichkeit ersetzt werden wird“
Werner Heisenberg
Diese
„andersartige Haltung”, von der Heisenberg sprach,
ist Teil des Prinzip [
WIRKUNG! ]. Und auch das gehört zu
einem echten Umdenken mit dazu, das heute immer öfter
gefordert wird: Wir müssen verstehen, dass es sich
beim „Entweder-Oder” um ein „50-Prozent-Denken”
des Trennens, Spaltens und Isolierens handelt. Und wir müssen
lernen, mit dem „Sowohl-als-auch” umzugehen,
das keineswegs widersprüchlich ist, sondern nur so
scheint.
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