Status
Quo
Persönlichkeitsentwicklung
wird in aller Regel erst relativ spät im Laufe des Lebens
eines Menschen zu einem Thema. Bis dahin sind die meisten Menschen
der Überzeugung, die Entwicklung der Persönlichkeit
sei mit dem Ende ihrer Jugend weitgehend abgeschlossen und sei
die weitere charakterliche Prägung allenfalls eine Frage
der Lebensumstände.
Diese
noch immer allgemein vorherrschende
Auffassung wird dadurch unterstützt und zur Normalität,
dass weder die institutionellen Strukturen (KiTa, Kindergärten,
Schulen) noch die alltägliche Lebensgestaltung auf
Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet sind. Vielmehr dagegen
wird diese Thematik als reine Privatangelegenheit und Möglichkeit
der Freizeitbeschäftigung betrachtet.
Bei
einer solch vorherrschenden Normalität
gilt Persönlichkeitsentwicklung dem entsprechend als „nicht-normal”.
Als sei das Ganze nur Menschen vorbehalten, die „seelische
bzw. psychische Probleme” hätten und/oder die sich
„auf einem Esoterik-Trip” befänden. Quasi: „Wer
normal ist, der braucht 'so etwas' nicht”.
In
der elterlichen Erziehung (auch:
„Pädagogik”, Schule, etc) wiederum steht vielmehr
die „Sozialisation” des Kindes im Vordergrund. Also:
dem Kind u.a. Fertigkeiten, Fähigkeiten, Regeln und Verhaltensweisen
zu lehren, die an gesellschaftlich-kulturellen Konventionen von
„richtig” und „falsch” ausgerichtet sind
- was u.a. als „Bildung” betrachtet wird und in diesem
Bildungsverständnis ein Teil dieser Konventionen ist.
Bei
dieser Prioritätensetzung, die letztlich den Abbruch der
Selbstentwicklung eines Kindes darstellt,
spielt dessen freie Persönlichkeitsentwicklung (absichtlich)
allenfalls lediglich eine Nebenrolle; wenn überhaupt - und
wird somit eben nur kaum bis gar nicht als eine Form von „Bildung”
betrachtet. Ein Defizit, aus dem nicht nur persönliche Probleme
im späteren Leben resultieren, sondern auch zahlreiche gesamtgesellschaftliche.
Persönlichkeit:
wie ein Rad im Getriebe
Es
wird heute noch immer suggeriert, das Selbstverständnis eines
Menschen würde sich in erster Linie aus dem ergeben, was
er im „eigentlichen Leben” erreicht, nämlich
im vorgegebenen Rahmen der ökonomischen „8-8-8-Regelung”,
für sich selbst und andere erkennbar an seinem Bildungsgrad,
an seiner Arbeit und beruflichen Position (z.B. „Ich bin
Steuerberater”), sowie an seinem Konsum; also: an dem, was
er „sich leisten” oder eben nicht leisten kann.
Ein
Selbstverständnis, das mitsamt dem vorgegebenem Rahmen auch
die dadurch vorgegebenen Ideale („Meine Frau, mein Auto,
mein Haus”, etc, etc) und Maßstäbe (Zielstrebigkeit,
Konsequenz, Durchsetzungsstärke, etc, etc) zur Orientierung
dafür verwendet, was nun ein „gutes” und „schlechtes”
Leben ist, was dafür geleistet und erreicht werden muss,
und woran es - scheinbar - hapert.
Ziemlich
gut versteckt liegt darin das durchgehende Zweckdenken verborgen,
in dem die persönliche „Ist”-Situation mit einem
angestrebten „Soll”-Zustand - nicht gerade selten
auch „Ideal-Zustand” - abgeglichen wird. Wobei das
größte Problem noch nicht einmal in einer ständigen
Unzufriedenheit besteht, weil es in aller Regel immer etwas gibt,
das „noch besser” und „noch schöner”
wäre.
Sondern
deutlich nachhaltiger wirkt (u.v.a.), dass man hierdurch kaum
noch etwas „einfach so” tut, womöglich sogar
„einfach nur aus Freude, Lust und Laune” und weil
einem „gerade danach ist”, sondern permanent „...um”,
nämlich: um irgendetwas zu erledigen, zu erreichen,
also: zu bezwecken.
So wird heute nicht mehr nur gegessen, was einem schmeckt, sondern
gleichzeitig, um „gesund zu leben”; es wird
nicht mehr nur mit Kindern gespielt, sondern auch gleichzeitig,
um „etwas für deren Bildung zu tun”;
es wird noch nicht einmal mehr nur simpel eingekauft, sondern
man kauft, um „zu sparen”.
Ziemlich
unauffällig steht das Leben so unter dem ständigen Rechtfertigungszwang,
für alles einen „guten Grund” haben zu müssen,
der das eigene Denken und Handeln gegebenenfalls für andere
plausibel und „vernünftig” macht: alles wird
einem Zweck und Nutzen (auch „Ziel” genannt) untergeordnet;
und das selbst in Fällen, wo etwas „für einen
guten Zweck” getan wird und es um eine „Gemeinnützigkeit”
geht.
„Das westliche System macht krank. Stark und
siegreich
in einer Wettbewerbsgesellschaft sein zu müssen,
ist für viele eine Belastung“
Hans-Joachim Maaz, Psychotherapeut
So
resultiert aus diesem Ganzen insgesamt das bedrückende Gefühl,
nur „ein kleines Rad in einem großen Getriebe”
zu sein, selbst nur auf seine Funktion (als Arbeiter, als Konsument,
als Wähler, als Lebenspartner, etc, etc), auf seinen Zweck
und Nutzen für andere reduziert zu sein; das dazu noch unter
ständigem Rechtfertigungszwang, gemessen, beurteilt und bewertet
nach Maßstäben, die andere setzen.
Damit
zurecht zu kommen und das Ganze idealerweise mit seinem Selbstverständnis
unter einen Hut bringen zu können, gilt als persönliche
„Stärke” und Erfolgsfaktor, wer damit weniger
oder gar nicht zurecht kommt, gilt als „schwach”:
die Kriterien, die in einer „Leistungsgesellschaft”
die „Leistungsträger” ausmachen.
Was
in dieser üblichen Auffassung mit der totalen Fixierung auf
das Zweckdenken (u.a.: Zielerreichungen) jedoch völlig ausgeblendet
wird, sind Relevanz, Bedeutung und Sinn. Sowohl die Relevanz,
die Bedeutung und der Sinn dessen, was man tut und warum man es
tut, wie (dadurch) auch die Bedeutung und der Sinn der eigenen
Existenz, des eigenen Lebens.
Ausbesserungs-
und Reparaturversuche
Erkennt
ein Mensch die Notwendigkeit und/oder den Sinn, sich der Entwicklung
seiner Persönlichkeit zu widmen, wird auch das gewöhnlicherweise
mit der Denkweise der vorherrschenden „Alten Kompetenz”
unternommen, also mit einem mechanistisch-technologisch geprägten
Denken; auf Basis des Zweckdenkens.
So
wird die Analytik angewendet (also: „das Zerlegen von etwas
Ganzem in dessen Einzelteile”, eben wie man auf der Suche
nach der Ursache einer Fehlfunktion eine Maschine zerlegt), um
z.B. persönlichen Schwächen und Potenzialen auf die
Spur zu kommen, als würde sich irgendwo „innerhalb
der Persönlichkeit”, „in (s)einem Selbst”
die Ursache dafür, ein „Knopf” zum ein- bzw.
abschalten auffinden lassen.
„Es wird in der Regel ziemlich naiv versucht,
den Geist mit den Mitteln der Ratio
und Vernunft zu formen“
Herbert Pietschmann, Physiker
Im
weiteren wird dann versucht, mittels des „Ursache->Wirkung”-Denkens
(also mit einer Denkweise, die auf Newtons physikalischen Gesetzen
der Mechanik(!) basiert) von der „Ist”- zur
angestrebten „Soll”-Persönlichkeit zu kommen
(„Ist->Soll”) - als würde sich dadurch ein
bestimmter „Erfolgsweg” (rational) festlegen lassen,
der aus einzelnen „Schritten” oder auch „Stufen”
besteht.
Wobei dieses Fehldenken schon mit der Zielsetzung („Soll”)
beginnt, die üblicherweise als unverzichtbar erklärt
wird - vor allem, um eine Beurteilung zu ermöglichen, ob
die Persönlichkeitsentwicklung nun „erfolgreich”
verlaufen ist oder nicht; als würde sich die persönliche
Weiterentwicklung an rational gesetzte Vorgaben halten und hätte
mit dem Erreichen eines willkürlich gesetzten Zieles ein
erfolgreiches Ende.
Erst
und nur dieses vorherrschende mechanistisch-technologisch geprägte
Denken der „Alten Kompetenz” macht es überhaupt
möglich, dass tatsächlich gemeint wird, Persönlichkeitsentwicklung
sei mittels einer Methode und Technik(!) möglich, die auf
schön übersichtliche und planbare Weise (eben: „schritt”-
bzw. „stufenweise”) das Erreichen irgendwelcher Ziele
und Zwecke ermöglichen würde.
Und
es ist dieses noch immer vorherrschende mechanistisch-technologische
Denken der „Alten Kompetenz” aus dem die Überzeugung
resultiert, (u.a.) die Persönlichkeit eines Menschen sei
etwas, was sich hauptsächlich im Gehirn abspielen und/oder
„in den Genen” herumliegen würde. So glaubt man
auch hier, dass die Wissenschaften, die Neuro-, Gehirn- und Genforschung
aus Gehirnfunktionen und DNS-„Bauplänen”
mehr (und vor allem: korrektere) Erkenntnisse ermöglichen,
als es jedem Menschen durch eigene, persönliche „Selbst(!)erkenntnis”
möglich wäre.
Das
Defizit als Normalität
Dadurch,
dass heute noch immer gemeint wird, die Persönlichkeit eines
Menschen sei etwas, das sich ohnehin irgendwie „von selbst
entwickelt”, dass man also selbst nicht sonderlich darauf
achten, geschweige denn daran arbeiten müsse, wird das Ganze
üblicherweise in die Schublade der Spiritualität, Esoterik
und Philosophie gelegt.
Und
damit: irgendwohin, wo es mit dem „eigentlichen Leben”
und den Erfordernissen des Alltags nichts zu tun hätte. Das
Dumme daran ist, dass auch qualitative Werte wie etwa Loyalität,
Verantwortungsbewusstsein, Empathie und Hilfsbereitschaft (etc,
etc), die eine Persönlichkeit ausmachen, somit quasi dem
Zufall überlassen bleiben, ob ein Mensch sie im Laufe seines
Lebens entwickelt oder nicht.
Und das - wohlgemerkt - ganz im Gegensatz zu z.B. Vokabeln und
mathematischen Formeln, die dem gegenüber als „Bildung”
höchsten Stellenwert genießen, und ganz im Gegensatz
zu Idealen wie Zielstrebigkeit, Konsequenz und Durchsetzungsstärke,
die als unverzichtbare Kriterien für den (Lebens-) Erfolg
gelten.
Daraus
resultiert letztlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, wenn
beispielsweise solche Werte wie ehrenamtliches Engagement oder
Zivilcourage als außergewöhnliche Phänomene gelten,
sodass einzelne Menschen hierfür besonders gefeiert und/oder
ausgezeichnet werden - wobei eher nachdenklich stimmen sollte,
dass es sich hier nicht um Selbstverständlichkeiten eines
gemeinschaftlichen Miteinander handelt.
Weitere
(ebenfalls immer auch gesamtgesellschaftliche) Folgen bestehen
darin, wenn die Masse der Menschen niemals darauf vorbereitet
wurde, wie man mit persönlichen (Lebens-)Krisen umgehen sollte
(oder zumindest: könnte), mit Trauer, mit Wut, mit menschlichen
Enttäuschungen, etc, etc, ohne die Zuversicht oder gar komplett
den Lebensmut zu verlieren.
Folgen, die Menschen in Depression und Süchte aller Art,
einige gar zum Selbstmord treiben. Folgen, die u.a. aus dem „ganz
normalen” eklatanten Defizit resultieren, dass der Persönlichkeitsentwicklung
allenfalls eine Nebenrolle zugeschrieben wird.
Erziehung:
geförderte Gleichförmigkeit
Was
für die Persönlichkeitsentwicklung im Erwachsenenalter
gilt, gilt erst recht für die Kinder und für das, was
ihnen durch Elternhaus, Schule, Medien und ihr „soziales
Umfeld” an Prioritäten inzwischen und noch immer vermittelt
wird: die Entwicklung ihrer Persönlichkeit spielt allenfalls
eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt, und wird größtenteils
eher als „unerwünschtes Verhalten” betrachtet.
Die
übergeordnete Rolle dagegen spielt vielmehr die „Sozialisation”
eines Kindes, die u.v.a. daraus besteht, zur Begrüßung
brav die Hand (und zwar die rechte Hand und nicht die linke) zu
geben, Schuhbänder schnüren zu können und am Tisch
nicht zu zappeln. Die freie Entwicklung der Persönlichkeit
wird also vielmehr abgebrochen und im weiteren Verlauf unterdrückt,
zugunsten der Regeln und Konventionen eines „richtigen”
und „falschen” Denkens und Verhaltens.
Man
darf davon ausgehen, dass die (ggf.: innerliche) Auflehnung eines
Kindes in der Pubertät gegenüber Eltern, Lehrern und
auch Institutionen ungefähr so intensiv ist, wie es vorher
(im wörtlichen Sinne) gemaßregelt und dadurch dessen
eigene Persönlichkeitsentwicklung unterdrückt wurde.
„Den Kindern wird in der Schule heute
nach wie vor Unsinn beigebracht“
Gregory Bateson, Biologe und
Anthropologe
In all dem wird den Kindern eine „fertige Welt” präsentiert,
in der es für sie selbst nichts mehr zu erforschen und zu
entdecken gäbe. Ganz im Gegensatz zu den ersten paar Lebensjahren,
in denen Kinder vollständig aus eigenem Antrieb und aus Neugier
in einer enormen Rasanz Enormes lernen, wird diese phänomenale
Selbstentwicklung heute immer früher abgewürgt...
...zugunsten eines „wissenschaftlich korrekten” Lern-
und Bildungsverständnisses, an Normen und Standards ausgerichtet,
das dagegen den meisten Kindern schwer(er) fällt, für
einige sogar mitunter zur Qual wird, die ihnen das Lernen
generell verleidet.
Das dazu noch mit einem völlig überholten Lern- und
Bildungsverständnis der „Alten Kompetenz”, basierend
auf dem „Sender->Empfänger”-Schema à
la Pawlow: als sei Lernen ein „Informationstransport”,
der zwischen einem Lehrenden (ggf. auch einem Medium: Buch, Computer,
etc) einerseits und eiem Lernendem andererseits stattfinden würde.
Ein völliges Fehlverständnis auf dem Stand des 17. Jahrhunderts,
basierend auf Newtons physikalischen Gesetzen der Mechanik(!).
„Sobald ein Kind in die Schule kommt,
beginnt ein grausamer, geistiger Verarmungsprozess“
Frederic Vester, Biochemiker,
Pionier des vernetzten Denkens
Der heute noch immer - zwangsläufig auch in der Erziehung
- vorherrschenden „Alten Kompetenz” entsprechend wird
den Kindern genau diese Denkweise gelehrt: als seien (u.v.a.)
Analytik, Rationalität, „Wenn->Dann”-Logik
und Kalkül die maßgeblichen Kenntnisse, die man erlernen
müsse. Dazu gesellt sich spätestens ab der Schulzeit
der praktizierte Darwinismus, spätestens sobald der „Rechenkönig”
gekürt wird - was zugunsten eines fragwürdigen Motivationsaspektes
eher Neid, Missgunst und Gefühle von Überheblichkeit
bzw. Minderwertigkeit fördert.
Insgesamt gehört hinterfragt, dass Erziehung - heute mehr
denn je - vornehmlich zweckgerichtet verstanden wird und somit
ebenso zweckgerichtet praktiziert wird; also um einiges entfernt
davon, Kindern eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen,
ihnen auch Streiche und Langeweile zu „gestatten”.
Vielmehr findet Erziehung heute immer früher als Vorbereitung
auf den „Ernst des Lebens” statt, was auch noch als
„das Beste für das Kind” propagiert und den Eltern
erklärt wird. Das ist auch der Grund, warum seit einigen
Jahren die Begriffe „Bildung” und „Erziehung”
permanent in einem Atemzug genannt werden.
Das
Prinzip [ WIRKUNG!
] beinhaltet u.a. auch die Auflösung des
allgegenwärtigen
Bedrohungsszenarios, in dem heute ein Konfrontations- und Rivalitätsdenken
von Angst, Druck, Zwang und des permanenten Kampfes auf allen
Seiten herrscht. Das längst überholte Welt- und Menschenbild
à la Darwin wird ersetzt durch ein vielmehr zeitgemäßes
Welt- und Menschenbild der Kooperation und Toleranz.
Hinweis: Es ist heute zwar üblich, jedes Thema
in eine bestimmte Schublade abzulegen und das auch noch als vorteilhaft
(„Spezialisierung” / „Expertentum”) zu
betrachten, doch genau das ist eine Auffassung nach der „Alten
Kompetenz”. Auch falls Sie sich vorwiegend und hauptsächlich
für Persönlichkeit und/oder Erziehung interessieren,
widmen Sie sich bitte auch den weiteren Wirkungsfeldern, um sich
ein umfassenderes Bild der größeren Zusammenhänge
machen zu können. Das ist wichtig. Wirklich wichtig.
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