Status
Quo
Wenn
es seit ein paar Jahren ein absolutes Top-Thema mit „Dauerbrenner”-Qualität
gibt, dann ist es das Thema „Bildung”, immer wieder
gern auch verquickt mit den Schlagworten „Wissen”
und „Information”; etwas seltener aber genauso gern
mit „Kommunikation” in Verbindung gebracht, was sich
jedoch vornehmlich auf technische Medien bezieht.
So
leben wir heute angeblich im
„Zeitalter der Bildung und des Wissens”, wohl vor
allem deshalb, weil wir auch in einem „Informationszeitalter”,
sowie im „Zeitalter der totalen Kommunikation” leben.
Deshalb sei jeder von uns zu „lebenslangem Lernen”
aufgerufen und verdonnert, und werden „Bildungsoffensiven”
gegen eine „Bildungsnot” gestartet, die in „Bildungsstudien”
(Stichwort: „PISA”-Studien) festgestellt wurde.
Schon
lange haben
Fernsehsender diesen Dauertrend mit ihren Quiz-Shows und Wissens-
Dokumentationen für sich genutzt und ihn dadurch noch verstärkt,
wie zudem Verlage, Internetdienste und Softwarehersteller mit
„Wissensmagazinen”, „Wissensportalen”
und „Wissens”-, Quiz- und Ratespielen, mit „Gehirnjogging”
und „Logik-Trainern”.
Dazu gesellen sich TV-Nachrichtensender, die per Dauer-Laufschriften
über die neuesten Nachrichten und Börsenkurse und Wetterlagen
informieren, sowie so genannte „Gadgets” und „Apps”
für Computer und Mobiltelefone.
Gegenüber
dem, was als „Bildung” und „Allgemeinbildung”
erwartet und vorausgesetzt wird, ist der Glaube heute völlig
an den Rand gedrängt. Etwas „nur zu glauben”
reicht in Anbetracht dessen, was heute an Informationen zur Verfügung
steht bzw. als „Bildung” gilt, nicht aus. Und das
keineswegs nur auf einen religiösen Glauben bezogen, sondern
inbegriffen darin auch der Glaube an sich selbst, Werte wie Hoffnung,
Zuversicht, etc.
verkorkstes
Bildungsverständnis
Das
Ritual des Händeschüttelns zur Begrüßung
stammt noch aus dem Mittelalter, als man sich durch das Zeigen
der offenen Handflächen gegenseitig signalisierte, dass man
unbewaffnet ist - was heute, im 21. Jahrhundert völlig sinnlos
ist, und dennoch in aller Selbstverständlichkeit praktiziert
wird.
Dem gegenüber können gerade einmal 10% der Menschen
erklären, was es mit der Relativitätstheorie genauer
auf sich hat, die Einstein im Jahr 1905 der Öffentlichkeit
präsentierte - und das, nicht obwohl dieses Wissen
vergleichsweise nagelneu ist, sondern gerade deshalb:
manches benötigt Generationen, um sich zu etablieren.
Das
betrifft auch die gängige Auffassung des Begriffes „Kommunikation”,
sowie damit u.v.a. auch der Begriffe „Lehren” und
„Lernen”. Alles das, was eben auch das Verständnis
des Begriffes „Bildung” ausmacht, wird heute noch
immer als eine Art und Form von Informationsübertragung von
einem „Sender” zu einem „Empfänger”,
also etwa von einem Lehrer zu einem Schüler verstanden: das
„Sender->Empfänger”-Schema nach dem „Ursache->Wirkung”-Prinzip.
Jedoch: ein Prinzip, das aus Newtons Gesetzen der Mechanik(!)
hervorging und seit dem 17. Jahrhundert über die Generationen
heimlich, still und leise u.a. auch auf das Denken und Verhalten
von Menschen übertragen wurde - und so setzt man noch heute
in aller Selbstverständlichkeit den Menschen mit einer Maschine
gleich.
„Die Massenproduktion und die allgemeine Schulbildung
haben bewirkt, dass die Stupidität heute weiter verbreitet
ist,
als jemals seit Beginn der Zivilisation“
Bertrand Russell, Mathematiker,
Logiker und Philosoph
Aufgrund
dieses eklatanten Fehlverständnisses von u.a. „Lernen”
und „Bildung” wird u.a. noch immer gemeint, Wissen
sei übertragbar, eben beispielsweise von einem Lehrer auf
einen Schüler, aus einem Buch auf den Leser, vom Computermonitor
auf den Nutzer, von der Quiz-Show auf den Zuschauer.
Dieser noch immer allgemein verbreitete Irrtum führt zu der
ebenso irrigen Ansicht, ein so „übertragenes Wissen”
würde sich durch Abfragen überprüfen lassen, sodass
auch der „Lernerfolg” problemlos beurteilt, bewertet
und benotet werden könne; was nicht zuletzt zur heute selbstverständlichen
Praxis schulischer Notengebung führte, zum vermeintlichen
„Intelligenzquotienten” und „Bildungsgrad”
eines Menschen, sowie zu Eignungsprüfungen aller Art, z.B.
in so genannten „Assessmentcentern”, etc.
Wenn also heute permanent in Kommissionen und in Talkshows endlos
über die Probleme des Bildungssystems diskutiert wird, geht
das haarscharf am eigentlichen Kern der Angelegenheit vorbei.
Das eigentliche Kernproblem nämlich liegt ein paar gedankliche
Schritte weiter vorn: in dem noch immer herrschenden Fehlverständnis
des Begriffes „Bildung”.
Beschränkung
auf den Zweck und Nutzen
Die
populistisch geführten Diskussionen um die Wichtigkeit der
Bildung lenken sehr elegant von der Frage ab, welche Bildung
eigentlich gemeint ist - wobei schon alleine diese Frage in aller
Regel a) zu Verständnislosigkeit führt, b) zur Unfähigkeit,
sie zu beantworten, und schließlich c) in Floskeln und Gemeinplätzen
endet.
Dabei ist die Antwort äußerst einfach, jedoch ziemlich
unpopulär: es ist eine Bildung gemeint, die sich ausschließlich
am Zweck und Nutzen orientiert. Eine „gute Bildung”
ist (nur) eine, mit der man „etwas anfangen” kann.
Kindern soll sie die Chancen im späteren Berufsleben steigern,
die Ausbildung soll sie spezialisieren, und jedwede Weiterbildung
dient dem Karriereerfolg.
Gleichzeitig ist daran erkennbar, welche Bildung eben nicht
gemeint ist: eine literarische, musische, poetische, philosophische,
künstlerische Bildung, die allenfalls nette Anerkennung findet,
doch vielsagend gern als „brotlos” bezeichnet wird.
„Aufstieg durch Bildung ist eine
Erfindung zur Befriedung der Massen“
Prof. Heinz-Elmar Tenorth,
Bildungshistoriker
Mehr
noch: als weiteres Indiz hierfür dürfen ohne weiteres
auch die so genannten „PISA”-Studien gelten, von denen
gemeint wird, dass sie über „den Bildungsgrad der Deutschen”
informieren würden. Tatsächlich jedoch werden ausschließlich
15-jährige Schüler auf „alltags- und berufsrelevante
Kenntnisse” getestet - nämlich in Mathematik, Naturwissenschaften
und Leseverständnis, während demnach alles andere(!)
weder alltags- noch berufsrelevant zu sein scheint.
Und noch mehr: durchgeführt werden diese Studien jährlich
von der OECD, von der „Organisation für wirtschaftliche(!)
Zusammenarbeit in Europa”, also letztlich aus rein ökonomischen
Interessen für rein ökonomische Zwecke, und eben nicht
etwa aus karitativen Gründen von z.B. UNICEF.
So erklärt sich daraus auch die allgemeine Aufgeregtheit
und die gewisse Hektik, mit der das Schul- und Bildungssystem
nach dem relativ schlechten Abschneiden deutscher Schüler
hinterfragt und reformiert wurde: man macht sich weit weniger
(und wenn, dann nur vordergründig) Sorgen um „ungebildete
Kinder” als deutlich mehr um die Zukunft der volkswirtschaftlichen
Entwicklung. Wer daran tatsächlich zweifelt, darf sich den
einen oder anderen Gedanken darüber machen, warum es ein
„Bundesministerium für Bildung und Forschung”
gibt, und das Bildungswesen nicht etwa dem Sozial- oder dem Familienministerium
zugeteilt wird(?).
„Wir brauchen einen neuen Lernbegriff.
Wir müssen weg vom Bulimie-Lernen, das
nur auf Noten und die nächste Klausur zielt“
Klaus Wenzel, Präsident
Lehrerinnen- und Lehrerverband Bayern
Und
es erklärt sich gleichfalls, warum wider besseren heutigen
Wissens noch immer an der Auffassung festgehalten wird, Bildung
sei ein per „Sender-> Empfänger”-Schema „übertragenes
Wissen”, das sich durch Abfragen überprüfen und
somit beurteilen, bewerten und benoten ließe: nur so lassen
sich Menschen und ihre Leistungen sehr zweckmäßig und
nützlich miteinander (und vor allem: gegeneinander) vergleichen.
Dieser künstliche Filter der Zweckmäßigkeit und
Nützlichkeit, der Menschen (bereits Kleinkinder) davon abbringt
und abhält, dem natürlichen „Wissenshunger”
zu folgen und Interessen frei zu entdecken, entwickeln und nachzugehen,
stellt eine enorme Talentverschwendung dar, die nicht nur auf
Kosten der Lebensfreude des Einzelnen geht, sondern letztlich
auch der Gesellschaft und Volkswirtschaft schadet.
Der
Mythos „Information”
Das
Thema Bildung kam mit der Verbreitung des Internet rasant in Schwung,
das die Menge der verfügbaren Informationen explodieren ließ
- für jedermann zu jeder Zeit permanent abrufbereit: das
so genannte „Informationszeitalter”
Indirekt dazu beigetragen hat auch die Einführung des Privatfernsehens,
das zwar sicherlich weniger und selten bildungsförderlich
ist, doch es genau dadurch auch ziemlich erschwert hat, in der
Informationsflut etwas Sinnvolles und Relevantes zu finden - zumal
dadurch für jeden (auch öffentlich-rechtlichen) Sender
der „Zwang” resultierte, Informationen unterhaltsam
zu präsentieren.
Insgesamt hat so nicht nur der Faktor „Information”
extrem rasant an Bedeutung gewonnen, sondern das Ganze hat zudem
auch klammheimlich, still und leise das Verständnis des Begriffes
„Bildung” verändert:
Wurde unter „Bildung” vor einigen Jahren noch das
Beherrschen grammatikalischer Regeln, der Grundrechenarten und
von ein/zwei Fremdsprachen, sowie ein wenig Allgemeinbildung (u.ä.)
verstanden, wird mittlerweile auch das Informiert-sein
darin einbezogen, also das „up-to-date”- und „Auf-dem-neuesten-Stand-sein”.
Und zwar begründet mit eben dieser heutigen Informationsflut,
weshalb es früher noch reichte, die Tageszeitung gelesen
und die „Tagesschau” gesehen zu haben, während
heute alles mögliche sekündlich neu an Informationen
geliefert werden kann, ganz gleich, was wo auf der Welt passiert,
für wen oder was es eine Bedeutung hat oder nicht.
„Unsere Gesellschaft schottet Wissen in solchem
Umfang,
so schnell und so sorgfältig ab wie noch keine andere
Gesellschaft in der Geschichte“
Robert B. Laughlin, Physik-Nobelpreisträger
Dabei
wurde mittlerweile das bloße informiert-sein mit „gebildet”-sein
gleichgesetzt, sodass inzwischen (und: weiter zunehmend) der Bildungsgrad
und Wissensstand eines Menschen recht unauffällig von technologischen
Informations-Medien abhängig erklärt wurde
- als käme es vorwiegend auf die Quelle und das Medium an,
und nur weniger bis überhaupt nicht auf den individuellen
Menschen und dessen Fähigkeit, einzelne Informationen in
einen größeren Zusammenhang setzen, bedeutsame von
unbedeutender und wichtige von unwichtiger Information unterscheiden
zu können.
Ebenso unauffällig wird dadurch „alles wichtig”
(oder zumindest: als „wichtig” erklärt,
wie unter vielem anderen... „die Bildung”). So, dass
die Menschen zunehmend verunsichert werden und sind, weil sie
immer weniger wissen(!), ob sie die richtigen Informationen
haben, den richtigen Beruf, das richtige Auto, die richtige Lebensführung,
etc, etc.
Diesen Effekt nennt man „bionisches Paradoxon”: Da,
wo „alles wichtig” ist, ist letztlich nichts
wichtig. Einer der Gründe dafür, wenn Jugendliche sich
„in Scheinwelten flüchten”, wie es gern heißt,
in z.B. Computerspiele, in denen sie meinen, für sich selbst
und ihr Leben eher eine Bedeutung zu finden.
Glaube
in ökonomischen Grenzen
Im
Jahr 1919 wurde in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche
eingeführt, wonach das öffentliche Leben ohne Einflussnahme
einer bestimmten Religion oder institutionellen Kirche stattfinden
solle: das Prinzip des „Laizismus”.
Das Ganze hat einerseits den unschätzbaren Vorteil, dass
seit dem Gerichtsurteile nicht mehr aufgrund von mystischen Gotteszeichen
gefällt und Hexen nicht mehr verbrannt werden, und dass nicht
mehr eine Religion oder Kirche bestimmt, wer ein „guter”
und „schlechter” Mensch ist, sondern dass seit dem
jeder glauben darf, was und woran er möchte; zumindest rein
staatsrechtlich.
Der
immense Nachteil besteht genau in dieser selben Tatsache: nämlich
darin, dass der Glaube dadurch zur reinen Privatangelegenheit
erklärt wurde, die jeder für sich selbst, ganz privat
und innerhalb seiner vier Wände lebt - während „die
Welt da draußen” irgendeine völlig andere ist,
in die man sich einfügen muss.
Anders gesagt: Es wird niemand gehindert, sein Leben religiös,
esoterisch oder auch spirituell zu leben, ganz wie er das möchte.
Doch er kann Probleme bekommen, wenn er versucht, das „da
draußen” umzusetzen; in einer Welt, die heute durch
und durch ökonomisch geprägt ist. Denn: Staat und Kirche
sind zwar rechtlich getrennt, Staat und Wirtschaft dagegen nicht,
sondern ganz im Gegenteil.
„Heute sind alle Experten mit dem Charisma von
Priestern ausgestattet. Einige dieser priesterlichen Experten
nennt man Psychiater, andere Psychologen oder Soziologen
und wieder andere Statistiker. Der Gott, dem sie dienen,
spricht nicht von Rechtschaffenheit oder Güte,
von Mitleid oder Gnade, ihr Gott spricht von
Effizienz, Präzision, Objektivität“
Neil Postman, Medienwissenschaftler
Wer also meint, er sei in seinem Denken und Handeln niemand anderem
Rechenschaft schuldig als z.B. Gott oder auch sich selbst, der
darf diese Überzeugung durchaus ganz privat vertreten, außer
gegenüber dem Finanzamt, das das anders sehen wird.
So ist es heute mehr oder weniger problemlos möglich, die
Religion zu wechseln oder komplett aus der Kirche auszutreten.
Dagegen ist es jedoch niemandem möglich, das hierzulande
herrschende Wirtschaftssystem zu wechseln oder daraus auszutreten,
und ist dem entsprechend gezwungen, sich in dem theoretischen
Rahmen dieses Wirtschaftssystems zu bewegen, mitsamt dessen Regeln,
Idealen und Grenzen.
Das heißt beispielhaft: jemand, der seine Religiosität
oder Spiritualität leben will, wird zwar sicherlich nicht
daran gehindert, jedem armen Teufel, dem er begegnet, einen Euro
in die Hand zu drücken, wird sich das jedoch überlegen
müssen, sobald sein Restgeld nicht mehr langt, um die Miete
zahlen zu können. Ein Bäcker kann sicher ein paar Brote
an Bedürftige verschenken, doch genauso sicher nur so viele
Brote, dass ihn die Gewinneinbußen am Ende nicht seine Bäckerei
kosten.
Im wahrsten Sinne prallen hier also Welten aufeinander, die sich
zum Großteil kaum vereinbaren lassen. Ebenfalls beispielhaft:
ein Unternehmer, der tatsächlich nur Gutes im Sinn hat, wird
durch Strategie und Marketing gezwungen, die Welt („den
Markt”) als „Schlachtfeld” und seine Mitmenschen
(Konkurrenten/Kunden) als „Gegner” und „Feinde”
zu betrachten - und das gilt heute inzwischen selbst für
Ärzte, Kliniken und karitative und gemeinnützige Non-Profit-Organisationen.
Hinweis:
Es ist heute zwar üblich, jedes Thema in eine bestimmte
Schublade abzulegen und das auch noch als vorteilhaft („Spezialisierung”
/ „Expertentum”) zu betrachten, doch genau das ist
eine Auffassung nach der „Alten Kompetenz”. Auch falls
Sie sich vorwiegend und hauptsächlich für Bildung, Wissen
und/oder Glaube interessieren, widmen Sie sich bitte auch den
weiteren Wirkungsfeldern, um sich ein umfassenderes Bild der größeren
Zusammenhänge machen zu können. Das ist wichtig. Wirklich
wichtig.
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