Status
Quo
Die
Wissenschaft genießt noch immer den Status, nur sie sei
in der Lage, irgendetwas über „die Wahrheit”
herausfinden. Und es wird noch immer gemeint, die Erkenntnisse,
die durch Wissenschaft gewonnen werden, seien „objektiv”,
neutral, „ungetrübt” und unbeeinflusst von „nur
subjektiven” Eindrücken, und (deshalb) zweifellos korrekt.
So
hat die Masse der Menschen einen (unbewussten)
wissenschaftlichen „Filter” in ihrem Hinterkopf: es
wird nur das geglaubt, was „wissenschaftlich erwiesen”
ist, und wird alles nach Lust und Laune angezweifelt, wofür
es keine „wissenschaftlichen Belege” gibt. Mehr noch:
es wird auch die simpelste Allerweltserkenntnis als Sensation
verkauft und wird der größte Unsinn geglaubt, wenn
darauf das „Gütesiegel” der Wissenschaftlichkeit
prangt.
Dabei
hat sich diese Wissenschaftsgläubigkeit inzwischen so verbreitet,
dass nicht mehr nur die Erforschung des Weltraums, die Atomphysik
oder Medizin
darunter fallen, sondern dass u.v.a. auch die Beschäftigung
mit dem Handel (Ökonomie) und mit dem seelischen Gemüt
(Psychologie) als vermeintliche „Wissenschaften” betrieben
werden - bis hinein in das Privatleben, wo an Intelligenz-, Psycho-
und Partnerschaftstests (etc) geglaubt wird.
Das
Ganze ist seit dem 17. Jahrhundert derart
in das allgemeine Denken übergegangen, dass Leistungen wie
die Mondlandung und satellitengestützte Navigationssysteme
umjubelt werden, doch niemand jemals hinterfragt, warum keine
Wissenschaft bisher die Probleme der Drogensucht, Kriminalität
oder der „Dritten Welt” (etc) lösen konnte(?).
Der
Mythos „Objektivität”
Mit
der Wissenschaft untrennbar verbunden ist das Phänomen der
„Objektivität”: der eigene Anspruch der Wissenschaft,
sich jenseits von „nur subjektiven” Eindrücken
(wie etwa Klänge, Farben, Geruch und Geschmack) auf „objektive”
Erkenntnisse zu beschränken - was für die Masse der
Menschen im heutigen wissenschaftsgläubigen Zeitalter gleichbedeutend
ist mit Seriosität, Neutralität, Exactheit und Korrektheit.
Diese Selbstbeschränkung geht auf Galileo Galilei zurück,
der anno 1632 definierte, was als „Wissenschaft” bezeichnet
werden kann und darf und was nicht: nämlich nur die Beschränkung
auf „objektive Fakten”, auf Kalkulierbares und Berechenbares,
auf das Zerlegbare, Zählbare und Messbare, auf Mengen, Maße
und Gewichte.
„Galilei bietet uns eine tote Welt: weg mit
Klang, Farbe,
Geruch und Geschmack. Wir mussten die Welt in der Theorie
zerstören, bevor wir sie auch in der Realität zerstören
konnten“
R. D. Laing (1927-1989)
Spätestens
mit den Erkenntnissen seit Einstein ist dagegen bekannt, dass
es keine „objektiven Fakten” jenseits von „nur
subjektiven” Eindrücken gibt. Mehr noch: dass sogar
das Trennen zwischen „Objektivität” einerseits
und „Subjektivität” andererseits ein grober intellektueller
Lapsus und eine Fehlentwicklung unseres Weltbildes ist.
Nichtsdestotrotz hält sich der Glaube an das Phänomen
der „Objektivität” hartnäckig in den Köpfen
der Masse der Menschen - vor allem, weil dieser Mythos von Experten
und Medien weiterhin unablässig verbreitet wird: von Experten,
die ihre Ansichten dadurch als seriös, korrekt und unzweifelhaft
deklarieren wollen, und von Medien, die genau deshalb alle Nase
lang irgendwelche Experten zu Wort kommen lassen, um deren vermeintlich
„objektives, sicheres Wissen” zu präsentieren.
So
steht die Masse der Menschen (nicht zuletzt auch: Politiker, Manager,
u.v.a.) als ahnungslose Laien da, die der Gilde der Wissenschaften
ausgeliefert ist. Und so glaubt die Masse der Menschen, dass es
nicht nur „von Vorteil”, sondern offenbar „absolut
notwendig” sei, für jede Erkenntnis, für jede
Problemlösung alles „nur Subjektive” außen
vor zu lassen...
...doch damit zwangsläufig eben auch: Werte wie Vertrauen,
Ehrlichkeit, Fairness, Rücksichtnahme, Respekt, Toleranz
und Verantwortung (etc, etc, etc), die als höchst wertvoll
betrachtet werden; und steht damit vor einem ziemlich paradoxen
Dilemma.
„Heute sind alle Experten mit dem Charisma von
Priestern
ausgestattet. Einige dieser priesterlichen Experten nennt man
Psychiater, andere Psychologen oder Soziologen und wieder
andere Statistiker. Der Gott, dem sie dienen, spricht nicht
von Rechtschaffenheit oder Güte, von Mitleid oder Gnade,
ihr Gott spricht von Effizienz, Präzision, Objektivität“
Neil Postman (1931-2003)
Daraus resultiert das Paradoxon, dass u.a. Analytik, Rationalität,
Logik und Kalkül als wichtigste, mitunter sogar einzige Qualitäten
für jede Problemlösung gelten, sodass ohne „objektive”
Analysen und Studien heute kaum noch eine Entscheidung getroffen
wird; während gleichzeitig ein „Werteverfall”
beklagt wird (u.v.a.: „fehlende Ethik und Moral unter Managern”,
„Ellbogen-Gesellschaft”, „Gewalt auf Schulhöfen”,
etc).
Ein
eminentes Kernproblem unserer Zeit, das etliche Folgeprobleme
produziert, liegt also a) in der heutigen Wissenschaftsgläubigkeit,
sowie dazu b) in der künstlichen Verwissenschaftlichung von
Bereichen, die de facto keine Wissenschaften sind (z.B.
Ökonomie, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, etc.):
So wird jedes Problem und jeder Lösungsansatz zunächst
erst einmal durch den Filter der „Objektivität”
gejagt, durch den alles „nur Subjektive” herausgefiltert
wird, um dann anschließend zu beklagen, dass genau dieses
„nur Subjektive” (nämlich: Werte aller Art) heute
überall fehlt. Das ist extrem paradox.
Das Prinzip [
WIRKUNG! ] beinhaltet deshalb auch eine Abkehr
von der Glorifizierung der Wissenschaften, insbesondere das Ende
der künstlichen Verwissenschaftlichung etlicher Lebensbereiche,
insbesondere durch das Bewusstsein, dass das Phänomen „Objektivität”
nicht existiert und somit a) kein Experte mit der Berufung darauf
einem Laien und/oder dem „gesunden Menschenverstand”
überlegen ist, und b) Werte, die naturgemäß „subjektiv”
sind, nicht länger als minderwertig gelten.
Der
Mythos der Kalkulierbarkeit
Aus
der herrschenden Wissenschaftsgläubigkeit resultiert u.v.a.
auch das prekäre Folgeproblem der extremen Fixierung auf
Zahlen und Daten - zwangsläufig dadurch, dass „die
Sprache der Wissenschaft” die Mathematik ist, wie bereits
Galileo Galilei im 17. Jahrhundert meinte: „Das Buch
der Natur ist in Zahlen geschrieben”.
Eines der Folgeprobleme daraus ist, dass sich eben
deshalb auch Forschungsbereiche „Wissenschaft” nennen,
die keine Wissenschaft sind, sich für diese Mogelpackung
jedoch genauso trickreich wie absurderweise der Mathematik bedienen.
Nämlich in sämtlichen Bereichen, in denen es um das
Denken und Verhalten geht, u.a. in Politik-
und Wirtschafts-„Wissenschaft”, Psychologie, Soziologie,
Pädagogik, etc, etc.
Ein weiteres Folgeproblem resultiert genau daraus:
es hat sich die Auffassung in den Köpfen festgesetzt, dass
jedes Problem und jede Lösung rein mathematischer Natur sei,
also eine Frage des Ermittelns und Berechnens irgendwelcher Zahlen
und Daten, kalkuliert mit irgendwelchen Formeln. Wenn dazu noch
kursiert: „je mehr Zahlen und Daten, desto präziser”,
scheint sämtliches Wohl und Wehe einerseits den Experten
vorbehalten, die sich „damit auskennen”, sowie andererseits
deren Computern, die so manche gewaltige Berechnung (auch: so
manches Problem) erst ermöglichen.
Insgesamt folgt daraus (u.v.a.) eine flächendeckende Verunsicherung
der Menschen gegenüber der „Welt da draußen”,
sowie gegenüber sich selbst: in einer Welt,
die scheinbar immer komplexer und chaotischer wird, scheint das
einzige kleine bisschen Sicherheit von Wissenschaft und Experten
geboten zu werden, die mit ihren Zahlen und Daten einen Durchblick
versprechen, den sonst keiner mehr hat.
„Experten sind nicht dazu da, uns die Illusion
von
Gewissheit zu geben. Wir müssen akzeptieren, dass wir
in einer unsicheren Welt leben“
Prof. Gerd Gigerenzer,
Direktor Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
Das
Prinzip [ WIRKUNG!
] beinhaltet u.a., sich von der Fixierung auf
das „Außen” bzw. auf scheinbar von außen
vorgegebene Zwänge zu lösen, die tatsächlich vor
allem im jeweils eigenen Kopf stattfinden - sondern sich
(deshalb) stattdessen dem Inneren zuzuwenden, das bestimmt, wie
man „die Welt” wahrnimmt. Damit verbunden ist eine
Abkehr davon, das Denken und Verhalten von Menschen in Zahlen
fassen zu wollen, nur um Zahlen zur Verfügung zu haben,
mit denen eine Berechenbarkeit suggeriert werden soll (u.a.: Wirtschaftswachstum,
Umfragen, Schulnoten, „IQ”, etc, etc).
Der
Mythos des künstlichen Durchblicks
Das,
was das klassische wissenschaftliche Vorgehen auszeichnet, ist
vor allem die Methode der Analytik: die Annahme, dass sich die
Ursache eines Problems auffinden ließe, indem es gedanklich
zerlegt und auseinandergenommen wird; genau so, wie man eine defekte
Maschine in ihre Einzelteile zerlegt. Zusammen mit dem rein ideellen
Trennen von „Objektivität” einerseits und „Subjektivität”
andererseits handelt es sich dabei um das kartesianische Weltbild
der „Alten Kompetenz”, anno 1619:
„Jemand, der ausschließlich nach der kartesianischen
Form
funktioniert, kann zwar frei von sichtbaren Symptomen sein,
ist aber nicht als geistig gesund zu bezeichnen“
Stanislav Grof, Psychologe
Die
heute noch immer glorifizierte Vorgehensweise der Analytik ist
also das exacte Gegenteil des Bildens von Zusammenhängen.
Das jedoch heißt: die klassischen Wissenschaften verwenden
die genau falsche Denkweise für die Masse der Probleme unserer
heutigen, extrem vernetzten und komplexen („globalisierten”)
Welt.
„Schon die Analyse eines Ist-Zustandes ist falsch,
weil sie nur eine Wahrscheinlichkeit darstellt“
Prof. Bart Kosko, u.a. Erfinder
der „Fuzzy-Logik”
Umso
schlimmer, wenn aufgrund der herrschenden Wissenschaftsgläubigkeit
dieses Vorgehen der Analytik als ein „Schaffen von Ein-
und Durchblick” betrachtet wird, das dazu noch mit der Berufung
auf eine vermeintliche „Objektivität” (siehe
oben) als „zweifellos korrekt” deklariert wird. Also:
ein in-sich perfektes Fehldenken, in dem die vermeintliche „Korrektheit”
praktischerweise gleich mit eingebaut ist - und zwar von Experten,
die sich mitten in diesem Fehldenken befinden.
Noch schlimmer jedoch, dass neben dieser suggerierten
„Korrektheit” analytischer Rückschlüsse
auch Problemlösungen und Vorplanungen mit exact diesem selben,
kartesianisch-mechanistischen Fehldenken stattfinden, nämlich
per „Wenn->Dann”- Logik auf der Grundlage des (mechanischen!)
„Ursache->Wirkung”-Denkens: „Wenn wir A tun
und B vermeiden, dann resultiert daraus C”, allseits bestens
bekannt.
Das Prinzip [
WIRKUNG! ] beinhaltet auch a) die Abkehr von der
einseitigen Dominanz der Analytik, der „Wenn->Dann”-Logik
und des „Ursache->Wirkung”-Denkens, sowie damit
b) auch vom Mythos des künstlichen Durchblicks, der nur auf
diese Weise geschaffen werden könne. Vielmehr muss ein Denken
in Zusammenhängen, sowie in Gegen- und Wechselwirkungen als
mindestens gleichwertige Möglichkeiten zum Erkenntnisgewinn
etabliert werden (System-, Chaos- und Komplexitätsforschung).
Der
Mythos der Beweiskraft
Es
wird - vor allem durch die Medien - immer wieder und immer noch
der Eindruck erweckt, die Wissenschaften würden irgendetwas
nachweisen und beweisen. Von Seiten der Wissenschaft und ihrer
Experten wiederum wird dem natürlich nur selten (und wenn,
dann nicht allzu laut) widersprochen, denn dieses Gerücht
und dieser Glaubenssatz trägt schließlich gehörig
zu deren Ansehen bei. Jedoch:
„Wissenschaft beweist nichts, sie sondiert“
Gregory Bateson (1904-1980)
Die
Knackpunkte sind dabei (u.a.) folgende: Es werden immer wieder
gern diverse wissenschaftliche Studien angeführt, die angeblich
irgendetwas beweisen, doch es wird bei der Fixierung auf die Ergebnisse
in aller Regel die Erklärung unterschlagen, was genau überhaupt
untersucht wurde.
Ebenso gern werden irgendwelche Zahlen und Daten präsentiert,
die irgendetwas beweisen sollen, ohne dass jemals erklärt
wird, wie diese ganzen Zahlen und Daten überhaupt ermittelt
und wie genau mittels welcher Formeln addiert, subtrahiert, dividiert
und multipliziert wurden.
Ebenso gern werden empirische Untersuchungen aus irgendwelchen
Versuchen und Experimenten angeführt, die angeblich irgendetwas
beweisen sollen, wobei in aller Regel ungeklärt bleibt, wie
der Versuchsaufbau überhaupt ausgehen hat, warum er genau
so und nicht anders aufgebaut wurde, und welche theoretische Annahme
dem Ganzen überhaupt zugrunde liegt.
Als zusätzliches, ebenso elegantes wie unauffälliges
Mittel kommt hierbei die Rhetorik zum Einsatz, wenn wissenschaftliche
Theorien nicht als Vermutungen und Annahmen formuliert werden,
sondern als würde es sich um Fakten handeln: so wird immer
wieder erklärt, dass das Universum durch einen „Urknall”
entstanden ist – nicht „vermutlich”
und nicht „könnte”, denn das widerspräche
schließlich der Exactheit, Präzision und Korrektheit,
die man den Wissenschaften zuschreibt.
Diese (und noch einige andere) Hintergründe werden generell
unterschlagen, wenn von vermeintlichen „Beweisen”
geplaudert wird, weil hierin jede Menge Stolperfallen liegen,
die die Beweiskraft in Frage stellen und Experten daher lieber
nicht diskutieren und/oder selbst nicht wahrhaben wollen –
wobei in solchen Fällen gern auf die „Komplexität
der Materie” verwiesen wird, die für Nicht-Wissenschaftler
ohnehin zu kompliziert sei: man möge sich doch
bitte einfach auf die Experten verlassen.
Auf diese Weise sind mittlerweile nicht nur Politiker, Manager
und Otto Normalbürger sehr elegant entmündigt worden,
sondern gleichzeitig auch von jeder Verantwortung für die
eigenen Entscheidungen bequem befreit worden: der Verweis auf
irgendwelche Analysen, Statistiken, Studien und Experten reicht
dazu aus.
Das Prinzip [
WIRKUNG! ] beinhaltet auch, die Wissenschaften
auf den Status einer Forschung zu relativieren, die sicherlich
Erkenntnisgewinne ermöglicht, jedoch keine Beweise liefern
kann. Dazu gehört u.v.a., Annahmen und Interpretationen auch
als solche zu erklären, und nicht als vermeintliche „Fakten”
darzustellen. Dafür wiederum ist die Abkehr vom Anspruch
an eine „Objektivität” erforderlich (siehe weiter
oben).
Hinweis:
Es ist heute zwar üblich, jedes Thema in eine bestimmte
Schublade abzulegen und das auch noch als vorteilhaft („Spezialisierung”
/ „Expertentum”) zu betrachten, doch genau das ist
eine Auffassung nach der „Alten Kompetenz”. Auch falls
Sie sich vorwiegend und hauptsächlich für Forschung
und/oder Wissenschaft interessieren, widmen Sie sich bitte auch
den weiteren Wirkungsfeldern, um sich ein umfassenderes Bild der
größeren Zusammenhänge machen zu können.
Das ist wichtig. Wirklich wichtig.
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