Die
Präzision gilt als Grundlage für einwandfreie
Qualität und fehlerfreie, reibungslose Abläufe.
Was präzise geplant ist, funktioniert in aller Regel
auch wie geplant. Diese einseitig-positive Anmutung des
Wortes „Präzision“ lässt jeden Gedanken
verpuffen, man könnte damit auch etwas Problematisches
anrichten.
Das
Fundament der Präzision wurde im 17. Jahrhundert von
René Descartes gegossen: Die Ansicht, die ganze Welt
inklusive des Menschen sei nichts weiter als eine simple
Maschine. Das „Maschinendenken“. Heute noch
immer dermaßen „normal“, dass es der Masse
von etwa 90% der Menschen nicht im Geringsten bewusst ist.
Weshalb
es gleichfalls kaum jemandem bewusst ist, dass genau darauf
(u.v.a.) auch die Glorifizierung der Präzision zurückgeht:
Die Welt, die Natur, der Mensch, sämtliche Vorgänge,
Abläufe, Situationen und Probleme könnten mit
einem „präzisen Uhrwerk“ gleichgesetzt
werden. Ein präzises Uhrwerk, in dem ein Rädchen
ins andere greift, aus vielen, vielen Einzelteilen zusammengesetzt,
lässt es sich auch wieder in diese Einzelteile zerlegen;
zum Auffinden von Fehlern oder auch zur Feinjustierung und
Optimierung - René Descartes, anno 1619.
Es lohnt
sich durchaus, sich das bewusst zu machen, sobald man das
nächste Mal irgendetwas möglichst präzise
planen und umsetzen will. Denn dieses ziemlich seltsame
Weltbild ist nicht nur steinalt und realitätsfern,
sondern es führt (deshalb) auch in einem Domino-Effekt
zu völlig unnötigen Folge-Problemen.
Menschen
gleichgesetzt mit Dosenöffnern
und Leergutautomaten
Ein
Knackpunkt an der Sache ist das Gleichsetzen von Technik
mit Techniken. Oder anders formuliert: Das Übertragen
technischer Abläufe und Funktionsweisen von Technologien
auf menschliches Denken, Verhalten und menschliche Systeme,
auf die Anwendung von Techniken und Methoden und das strategische
Vorgehen.
Es ist
selbstredend wunderbar möglich, die einwandfreie Funktion
eines Kühlschranks oder eines Leergutautomaten mit
präziser Planung sicherzustellen: Wenn man weiß,
welche Bauteile an welcher Stelle welche Funktion haben,
lassen sich umgekehrt auch Fehler und Störungen sehr
schnell auffinden und beheben. Keine Frage. Wenn es jedoch
um Menschen geht, um ihr Denken und Verhalten und menschliche
Systeme (Politik, Wirtschaft, Teams, Familien, Kegelklubs
und Skatrunden, etc), sieht das – ebenso selbstredend
– jedoch völlig anders aus. Man ignoriert das
zugunsten der Präzision.
Systematisches
Übersehen von Einflüssen
Präzision
ist zwangsläufig immer eine Beschränkung auf rein
funktionale Abläufe. Wenn etwa von einem Stapel Spielkarten
eine Karte nach der anderen aufgedeckt wird, lässt
sich mit steigender Wahrscheinlichkeit (also: mit zunehmender
Präzision) per „Wenn->Dann” vorhersagen,
welche Karte als nächste aufgedeckt wird.
Sobald
jedoch eine Gruppe von Menschen mit diesem Stapel beginnt,
Skat zu spielen, ist es mit jedem „Wenn->Dann“
und mit der Präzision schlagartig vorbei. Nämlich:
sobald „menschliche Einflüsse“ wie Motivationen,
Absichten und Interpretationen die Karten durcheinander
wirbeln.
Um ein
solches Spiel wiederum einer präzisen Analyse unterziehen
zu können, muss es künstlich auf dem Papier gestoppt
und eingefroren werden. Und damit friert man eben genau
das ein, was den Ablauf überhaupt erst einen Ablauf
sein lässt. Noch etwas fachlicher formuliert: Bei jeder
Präzision werden absolut entscheidende Einflüsse
ignoriert, verdrängt und komplett übersehen, als
ob sie nicht existieren würden...
Nämlich
das Phänomen der so genannten „Emergenz“.
Das sind Erscheinungen und Einflüsse, die erst im Zusammenwirken
entstehen und auch nur im Zusammenwirken überhaupt
erkannt werden können.
Ein Beispiel dafür ist das „Cocaethylen“.
Eine Substanz, die durch den kombinierten Konsum von Alkohol
und Kokain im Körper gebildet wird (und zwar auch nur
in dieser Reihenfolge; die Substanz entsteht nicht, wenn
zuerst das Kokain konsumiert wird). Zudem: Nimmt man Alkohol
und Kokain unter die Lupe, ist weder in dem einen noch in
dem anderen Cocaethylen zu finden.
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