Wer
Arbeit hat, der hat es gut, und ist etwas wert. Wer keine
Arbeit hat, liegt faul herum und fällt der Allgemeinheit
zur Last. Arbeit schafft Wohlstand für alle und für
den Einzelnen. Arbeit schafft Werte und ist ein Wert an
sich. Was ist das eigentlich für ein Welt- und Menschenbild?
In Deutschland
werden regelmäßig monatlich die aktuellen Arbeitslosenzahlen
verkündet. Warum eigentlich? Man neigt zu meinen, es
ginge um so etwas wie einen Indikator für unseren Wohlstand:
Je höher die Zahl desto schlechter, je niedriger desto
besser geht es uns allen, dem Land, den Menschen.
Um die
Mitteilung dieses Pegelstandes kann es dabei jedoch nicht
wirklich gehen. Denn die Zahl der Obdachlosen zum Beispiel
wird weder monatlich noch überhaupt offiziell verkündet.
Vor allem deshalb nicht, weil sie gar nicht erst ermittelt
wird. Im Gegensatz zu der Zahl der Arbeitslosen ist die
Zahl der Obdachlosen offenbar uninteressant oder unwichtig
oder beides. Was ist der Unterschied?
Der
Unterschied ist: Obdachlose sind „aus dem System gefallen”.
Obdachlose gehen keiner geregelten Arbeit nach und schaffen
somit auch keine Werte, tragen weder etwas zum Wohlstand
bei, noch zum Funktionieren der Gesellschaft, sie erfüllen
keinen Zweck mehr und sind im Grunde verzichtbar. Also:
wen kümmert's?
Massen-Arbeitslosigkeit:
Der abgestrittene Erfolg
Die
Glorifizierung der Arbeit, die Vision einer Vollbeschäftigung,
die gewöhnliche Weltuntergangsstimmung bei Massen-Arbeitslosigkeit,
das gewohnt-übliche Wahlkampfgetöse „Wir
brauchen mehr Arbeitsplätze“... das sind weit
weniger typische Erscheinungen unserer modernen Zeit, sondern
eher im Gegenteil:
Ausformuliert
wurde das erstmals im Rahmen der Erfindung der Wirtschaftstheorie
im Jahr 1776(!) von einem gewissen Adam Smith in seinem
Buch „Reichtum der Nationen“, das noch heute(!),
im 21. Jahrhundert die unangefochtene Grundlage der „Wirtschaftswissenschaften“
ist: „Arbeit ist die Quelle für Reichtum“.
Dieser Grundsatz gilt also noch heute. Auch wenn Mr. Adam
Smith vor mehr als 240 Jahren weder die Industrialisierung
noch die Globalisierung und deren epochale Auswirkungen
damals wohl kaum vorhersehen konnte: Man denkt überhaupt
nicht daran, die Wirtschaftstheorie ein klein wenig auch
daraufhin zu hinterfragen, geschweige denn zu überarbeiten.
Die
Auswirkungen der Industrialisierung bis heute nämlich
sind bei so etwas wie „neutraler“ Betrachtung
ein enormer Erfolg: Maschinen werden inzwischen eingesetzt,
wo Menschen früher harte „Knochenarbeit“
leisten mussten. Beispielsweise. Die Möglichkeit mit
immer weniger menschlicher Arbeitskraft immer mehr Produktivität
zu erzeugen, ist ein Erfolg des technischen Fortschritts:
Man „lässt arbeiten“ und lebt nicht trotzdem,
sondern gerade deshalb in einem Zeitalter der Bequem- und
Annehmlichkeiten und einer Lebenserwartung, wie es sie nie
zuvor gegeben hat.
Der
Smith’sche Grundsatz aus dem 18. Jahrhundert „Arbeit
ist die Quelle für Wohlstand“ ist offenkundig
längst überholt. Mehr noch: Es heißt, eine
Arbeitslosenquote von etwa 40% wäre normal, wenn die
Möglichkeiten zur Automatisierung tatsächlich
ausgeschöpft werden würden.
Marathon
im Hamsterrad: Wenn die Angst lähmt
Das
Automatisierungspotenzial allein im Bankensektor beträgt
ca. 60%, im Handel ca. 50%. Dass diese Entwicklung künstlich
aufgehalten wurde und noch immer wird, liegt eben in erster
Linie daran, dass die damit verbundene Massen-Arbeitslosigkeit
mit einem Weltuntergang gleichgesetzt wird, den sich keine
Regierung und keine Opposition freiwillig auf die Fahnen
schreiben will.
Nicht
zuletzt deshalb, weil das in Deutschland herrschende Sozialsystem
noch immer auf dem Fundament der Industrialisierung steht,
und dessen Funktionieren davon abhängt, dass arbeitende
Menschen Beiträge einzahlen. Der Sprung aus diesem
Hamsterrad wird nur seltenst überhaupt angedacht, geschweige
denn geäußert oder gar als politisches Ziel ausgesprochen.
Es dominiert die Angst der Politik, Wählerstimmen zu
verlieren, wo Arbeit noch immer glorifiziert und als „Quelle
für Wohlstand” propagiert wird.
Es wäre
also zunächst erst einmal erforderlich, den Menschen
ein anderes Denken nahezubringen, damit die Akzeptanz dafür
entsteht, ein völlig anderes System zu konzipieren
– statt sich von der Angst davor lähmen zu lassen.
Das Ganze übrigens gekoppelt mit einigen weiteren Ängsten,
die direkt aus dem noch immer herrschenden Denksystem entstehen:
Wenn Arbeit „die Quelle für Reichtum“ ist,
wie soll man ohne Arbeit zu einem wenigstens bescheidenen
Wohlstand kommen? Überhaupt: sein Leben finanzieren?
Wenn Menschen ohne Arbeit als „wertlos“ betrachtet
werden und sich sogar selbst so betrachten („Ich werde
nicht gebraucht“), wer will dann „freiwillig“
ohne Arbeit sein? Ganz abgesehen davon, dass jeder Mensch
laut UN-Menschenrechtscharta sogar ein „Recht auf
Arbeit“ hat, und das schon so seinen Grund haben wird(?).
Ein
neues System erfordert also ein völlig anderes, zeitgemäßes
Denken, das auch eine völlig andere Vorstellung davon
ermöglicht, wie ein Leben ohne Arbeit aussehen kann
– statt das gesamte Leben vom ersten Schuljahr an
auf das Arbeitsleben auszurichten.
Die
etwas andere Form von Vollbeschäftigung
Es herrscht
jedoch genauso auch ein beträchtliches Interesse daran,
dass alles möglichst bleibt, wie es ist. Und zwar eben
nicht nur bei „Otto Normalbürger“, sondern
an einflussreichen Stellen. Menschen, die fleißig
arbeiten, sind auch fleißig beschäftigt: mit
ihrer Arbeit und ansonsten vor allem damit, wie sie sich
in ihrer „Freizeit“ davon erholen dürfen.
Idealerweise indem sie sich das Leben im Rahmen ihrer finanziellen
Möglichkeiten etwas angenehmer gestalten. Und zwar
durch irgendeinen Konsum, der damit auch genau dieses System
weiter am Leben hält.
Wie
Peter Glotz meinte: „Solange das Drittel, das kaum
mehr etwas hat, ruhig gestellt wird, gibt es keine wirklichen
Probleme“. Dem entsprechend werden die Menschen also
beschäftigt, ruhiggestellt. Es haben sich gleich mehrere
(u.a.: „Freizeit“-)Industrien entwickelt, die
dafür sorgen. Abgerundet wird das Ganze durch das Schüren
von Angst: Angst um den Job, Angst vor dem Verlust von Selbstwertgefühl
und persönlichem, wie allgemeinem Wohlstand.
Die
etablierte „8-8-8“-Regelung (jeweils 8 Stunden
schlafen, arbeiten und Erholungspause) ist ziemlich gut
geeignet, um Menschen einzuschläfern und nicht auf
den dummen Gedanken kommen zu lassen, dass ein Leben womöglich
auch anders aussehen könnte. Vielleicht sogar: ganz
anders.
|