Eine
Selbstverständlichkeit im Unternehmertum, dass über
Marktanteile nachgedacht und Marktforschung betrieben wird,
dass nach Marktlücken gesucht und neue Märkte
erschlossen werden, um letztlich zum Marktführer zu
werden. Eine Selbstverständlichkeit, die die essenzielle
Frage verdrängt: Was ist das eigentlich: „der
Markt“?
Die
Frage, was „der Markt“ eigentlich ist, verführt
zu der Antwort: „Eine Heilige Kuh der Ökonomie“.
So ziemlich jedes Hinterfragen wird jedenfalls als Zweifel
an der Marktwirtschaft sehr schnell in die Schublade von
Kommunismus und Sozialismus gelegt. Bei solchem Extremismus
dürfte die übliche Sichtweise dann wohl als „Mystik“
betrachtet werden – angesichts einer „Unsichtbaren
Hand“, die angeblich auf geheimnisvolle Weise den
Markt reguliert.
Rein
ökonomisch wird als „Markt“ das „Zusammentreffen
von Angebot und Nachfrage“ bezeichnet. Genauer: Eine
Ansammlung von Anbietern und Nachfragern, die untereinander
Tauschhandel betreiben, zum Beispiel: Güter gegen Geld.
Oder auch Arbeitskraft gegen Geld, was dann als „Arbeitsmarkt“
bezeichnet wird. Der „Rentenmarkt“ wiederum
als Teil des „Kapitalmarktes“ ist der Tausch
von Geld gegen die Aussicht auf mehr Geld.
In der
Wirtschaftstheorie hat der jeweilige Markt also rein gar
nichts mehr mit dem räumlichen Ort und Platz in einer
Stadt zu tun, der seit dem 15. Jahrhundert als Treffpunkt
für Menschen dient. Sondern in der Wirtschaftstheorie
existieren „Märkte“ ausschließlich
in den Köpfen und nur auf Papier.
„Papier
ist geduldig“. Zumindest über 300 Jahre lang.
Wie
sagte Einstein: „Die Theorie bestimmt, was wir
sehen“. In der Wirtschaftstheorie sieht man Märkte.
Von der Politik über Manager, Unternehmer, deren Berater
und sämtliche Medien, bis zu Existenzgründern.
Alle sehen das, was die Theorie bestimmt: Märkte. Jede
Menge Märkte, dazu Marktanteile, Marktführer,
Marktlücken, sogar Marktforscher sollen hier und da
zu sehen sein.
Einmal
waghalsig angenommen, die Wirtschaftstheorie, die seit ihrer
Erfindung im Jahr 1676 unverändert praktiziert wird,
wird tatsächlich irgendwann als das erkannt, was sie
ist: völlig überholt. Und diese Theorie wird irgendwie
verändert… und prompt würden keine „Märkte“
mehr zu sehen sein… nicht vorstellbar? Warum nicht?
Die allgemeine Vorstellungskraft reicht schließlich
auch dazu aus, um sich so etwas wie „Märkte“
vorstellen zu können.
Das
wäre erneut ein Fall für Einstein: „Vorstellungskraft
ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“.
Die essenzielle Frage wäre, ob man sich eine Welt ganz
ohne „Märkte“ vorstellen will – statt
auf deren Existenz zu pochen, sei es auch nur auf Papier.
Anonyme
Herrschaft: Dem „Markt“ ausgeliefert
Das
unternehmerische Weltbild scheint also noch immer so gewollt
zu sein. Womöglich deshalb, weil es zeitweise recht
praktisch ist, sich auf „den Markt” zu berufen,
wenn Entscheidungen zu treffen sind. Man ist dann „dem
Markt ausgeliefert“ und ist gezwungen und wird genötigt,
„aus wirtschaftlichen Gründen“ irgendeine
Entscheidung zu treffen. Denn schließlich „regieren
die Gesetze des Marktes“.
Dieser
anonyme „Markt“ ist dabei genau so unsichtbar,
wie die „Unsichtbare Hand“, die – laut
Wirtschaftstheorie allen Ernstes – irgendwelche Ungleichgewichte
auf mystische Weise wieder einpendelt und ins Lot bringt.
Auch das: sehr praktisch für viele Erklärungen.
Man könnte das allerdings auch als den „doppelten
Boden“ einer Trickkiste bezeichnen: Die Wirtschaftstheorie
anno 1676 funktioniert auch im 21. Jahrhundert noch immer
absolut einwandfrei – und falls ausnahmsweise nicht,
dann ist entweder „der Markt“ schuld oder die
„Unsichtbare Hand“, die wohl vorübergehend
eingeschlafen war.
Im Klartext:
So etwas wie „Märkte“ existiert allenfalls
in den Köpfen und auf Papier. Ansonsten: nicht. Wer
nur das sieht, was die Theorie bestimmt und vorgibt, der
übersieht durch diese (freiwillige) Selbstbegrenzung
etliche Möglichkeiten. |