Je
nach dem, ob es gerade als Thema „angesagt“
ist, sich die Medien darauf stürzen und/oder Wahlkampfzeit
ist: Die Frage, wie es um die „Moral und Ethik in
der Wirtschaft“ bestellt ist, wird immer wieder aufgekocht,
schmeckt deshalb jedoch nicht wesentlich besser. Man müsste
dazu die Rezeptur hinterfragen. Aber wer will das ernsthaft?
Vielleicht
erinnert sich der eine oder andere noch an ein angebliches
„Heuschrecken-Gebaren“, das laut einem Politiker
unter Investoren herrscht, wenn kurzfristige Gewinn-Erwartungen
und -Aussichten das Handeln bestimmen. Im Originalton damals:
„Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt
Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen
lassen, wenn sie sie abgefressen haben“.
Wie unmoralisch.
Darunter
fallen selbstverständlich auch Konzerne, die zugunsten
von „Shareholder Value“ und Rendite kurzerhand
ein paar Tausend Mitarbeiter entlassen, um – wie es
dann heißt – „effizienter wirtschaften”
zu können und „wettbewerbsfähiger zu sein“.
Worauf dann übrigens prompt der Aktienkurs steigt.
Auch das: wie unmoralisch.
Jedoch:
Was, wenn „Otto Normalbürger“ im Besitz
von Aktien eines auf diese Weise agierenden Unternehmens
ist? Freut er sich dann weniger über den Kursanstieg?
Oder hängt seine Moralfrage davon ab, ob er rein zufällig
zu den Rationalisierungsopfern gehört, die ihre Zeit
demnächst auf den Fluren der Arbeitsagentur verbringen?
Moral?
Ethik? Bahnhof? Was genau ist das Problem?
So ist
das, wenn man zum Opfer des eigenen Systems wird: Getroffen
von dem Bumerang, den man selbst mit voller Kraft geschleudert
hat, und sich über die Schmerzen wundert. Was dann
übrigens dazu führt, denselben Vorgang noch mehrmals
zu wiederholen.
Wobei
es hochgradig fahrlässig ist, die Moralfrage an „die
Wirtschaft“ zu stellen, wer und was immer damit verbunden
wird. Denn: Nichts anderes, wenn sich Tausende von Menschen
demonstrierend auf die Straße stellen, weil sie aus
„Rationalisierungsgründen“ entlassen werden
sollen – weil die unmoralischen Manager nur an die
Effizienz und an den Profit des Unternehmens denken...
...während
alle diese Demonstranten bei ihrem Bäcker um die Ecke
exact dasselbe praktizieren, ihre Brötchen lieber „billiger“
im Supermarkt kaufen, und fröhlich darauf pfeifen,
wie der Bäcker seine Miete und seine Angestellten bezahlen
soll.
Dieses beklagte „Heuschrecken-Gebaren“ fällt
unter den allseits verbreiteten und (auch von der Politik
übrigens) erwünschten und legitimierten Egoismus:
die so genannte „wettbewerbsorientierte Selbstbehauptung“.
Es ist paradox, das – je nach Stimmungslage –
trotzdem zu beklagen.
Der
Punkt ist: Die Wirtschaftstheorie, wie sie 1676 von einem
Sir Willliam Petty erdacht wurde und noch immer exact genau
so praktiziert wird, ist auf dem Fundament einer „reinen
Objektivtät” aufgebaut – um das Ganze trickig
zu einer „Wissenschaft“ erklären zu können.
Alles, was „nur subjektiv“ ist, hat also außen
vor zu bleiben und keine Rolle zu spielen – grundsätzlich
und prinzipiell. Punkt. Und damit zwangsläufig inbegriffen:
sämtliche moralischen Fragen.
Im Klartext:
Die Wirtschaftstheorie basiert darauf, so etwas wie Moral,
Anstand, Fairness, Rücksichtnahme, etc. auszuklammern,
weil es „störend und hinderlich“ sei –
stattdessen sollten ausschließlich „objektive“
Kriterien gelten. Seit 1676 ist das so. Bis heute. Das eigentliche
Problem ist also keineswegs, ob es in der Wirtschaft an
Moral und Ethik mangeln würde. Diese Frage stellt sich
eben gar nicht erst: beides hat in der Wirtschaft prinzipiell
„nichts zu suchen”.
Wer
das dennoch so haben möchte, muss an diesem Grundsätzlichen
etwas ändern; also: am noch immer herrschenden „System
Wirtschaft“, wie es seit dem 17. Jahrhundert praktiziert
wird. Eine solche veränderte, grundsätzliche Haltung
darf dann jedoch eben nicht auf „die Wirtschaft“
abgeschoben werden. Man muss die Augen schon etwas weiter
öffnen, um erkennen zu können, dass es am allseits
verbreiteten Denksystem hapert.
Und
das beginnt nicht erst, wo Heilberufler, Ärzte und
Rechtsanwälte (etc, etc) inzwischen nicht mehr nur
einfach Heilberufler, Ärzte und Rechtsanwälte
sein „dürfen“, sondern Geschäftsleute
sein „müssen“, die Gewinne zu erwirtschaften
haben und gezwungen sind, sich in dieses steinalte Wirtschaftssystem
zu stürzen.
Wirklich richtig dumm wird es – genau deshalb –
wenn Selbstständige, Unternehmer und Manager tatsächlich
edle Beweggründe für ihr Geschäft und tatsächlich
gute Absichten haben, die ihre Mitmenschen (z.B. Kunden)
nicht manipulieren wollen und die keineswegs „alles
tun, Hauptsache es springt Gewinn dabei heraus“.
Das
Wirtschaftssystem: Zur Unmenschlichkeit gezwungen
Wirklich
richtig dumm wird es also für Menschen, die viel eher
mit Leidenschaft und aus Leidenschaft ein Geschäft
betreiben. Und für (z.B.) Heilberufler, Ärzte,
Zahnärzte, Hilfsorganisationen, et cetera, die ihre
Berufung darin sehen, Menschen zu helfen. Denn alle diese
Selbstständigen, Unternehmer und Manager haben ein
Kernproblem, um das sie nicht herumkommen: Das noch immer
herrschende Wirtschaftssystem des 17. Jahrhunderts!
Sie
sind gezwungen, grundsätzlich und prinzipiell alles
„nur Subjektive“ wie Moral, Anstand, Fairness,
Rücksichtnahme (etc, etc), wie auch ihre edlen Motive
und Absichten und ihre Hilfsbereitschaft außen vor
zu lassen, „wenn es um’s Geschäft geht“.
Ob sie wollen oder nicht.
Sie
sind gezwungen, die Menschen, denen sie eigentlich helfen
und für die sie etwas Gutes tun wollen, auf nackte
Zahlenwerte und auf den (z.B.) „Umsatz pro Kunde“
zu reduzieren – spätestens in dem Moment, wenn
sie zu ihrem Steuerberater und zum Finanzamt gehen.
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