Wenn
Menschen felsenfest und unbeweglich auf dem Standpunkt verharren
„Ich glaube nur, was ich sehe“, dann weisen
sie damit unfreiwillig nach, sich ihre Meinung mit einem
Kenntnisdefizit zu bilden - nach den Erkenntnissen der Gehirnforschung
jedenfalls wenden sie die genau verkehrte Sichtweise an.
„Ich
glaube nur, was ich sehe“ ist angesichts aktueller
Forschungsergebnisse eine ziemlich amüsante Feststellung.
Nach der Gehirnforschung nämlich müsste es lauten:
„Ich sehe nur, was ich glaube“ (Die Krux an
der Sache ist natürlich, dass man auch an diese Forschungsergebnisse
glauben wollen muss).
„Ich
glaube nur, was ich sehe“ ist schon in dem Moment
ziemlich weit von der Realität entfernt, wenn Eindrücke
gerade einmal etwa 50 Millisekunden lang (die Dauer eines
Blitzes) wahrgenommen, und schon deshalb nicht wirklich
bewusst gesehen und erlebt werden können.
Das
Phänomen Wahrnehmung:
Keineswegs ein „Kino im Kopf“
Wer
sich noch nicht intensiver mit dem Phänomen der Wahrnehmung
beschäftigt hat, stellt sich diesen Prozess üblicherweise
so vor, als würde das Ganze so ablaufen, wie mit einer
Kamera ein Film aufgenommen wird. Wobei die Augen quasi
wie eine Linse wirken, die das Bild der Umwelt irgendwie
zum Gehirn weiterleitet.
Tatsächlich
jedoch gelangen die optischen Sinneseindrücke lediglich
bis zur Netzhaut des Auges. Von dort an besteht die Wahrnehmung
nur noch aus elektrischen Impulsen. Am Gesamtprozess der
Wahrnehmung sind dann etliche Nervenzellen in den verschiedensten
Gehirnbereichen beteiligt, unter anderem die primäre
Sehrinde, der Parietal- und Temporallappen.
Insgesamt sind bei einer Wahrnehmung über die Augen
etwa 30 verschiedene Felder im Gehirn aktiv. Dazu kommen
die Eindrücke, die über das Ohr ins Gehirn gelangen:
Etwa 15 Laute pro Sekunde bei einer normalen Unterhaltung,
wobei vom Eintreffen der Schallwellen im Ohr bis zum Verstehen
eines Satzes kaum eine halbe Sekunde vergeht.
Dabei
ist es jedoch keineswegs so, dass diese Sinneseindrücke,
die ein Mensch wahrnimmt, bereits irgendeine Reaktion (z.B.
einen Gedanken, ein Gefühl, eine Handlung) auslösen
würden. Sondern am Prozess der Wahrnehmung sind immer
mindestens vier Faktoren gleichzeitig beteiligt: Der aktuelle
Sinneseindruck über z.B. Augen und Ohren in Kombination
mit Erinnerungen und Erfahrungen, sowie mit Gefühlen
in Verbindung mit virtuellen oder echten Handlungen.
Im Klartext
heißt das: Das übliche „Reiz->Reaktions”-Schema,
mit dem nicht nur in der Werbung gearbeitet wird, sondern
das auch die übliche Grundlage dafür ist, wie
Kommunikation generell (als „Sender->Empfänger“-Schema)
verstanden wird, ist Unfug – denn dabei wird komplett
ignoriert, dass jede Wahrnehmung immer auch gleichzeitig
mit höchstpersönlichen Erinnerungen und Erfahrungen
verbunden ist. Man kann nicht mit einem Reiz A eine Reaktion
B bewirken!
Letzteres
bedeutet zudem auch: Jeder einzelne Mensch nimmt die Welt
anders wahr! Denn jeder einzelne Mensch verknüpft jeden
Eindruck eben immer auch mit individuellen Erinnerungen,
Erfahrungen und Gefühlen, ohne dass das „gesteuert“
werden könnte.
Leben
inmitten einer Illusion:
Realität, die nur erfunden ist
Nicht
wenige, die damit schlicht überfordert sind, dass niemals
zwei Menschen dasselbe wahrnehmen, dass Herr Meier etwas
anderes erkennt als Herr Müller, obwohl sich beide
dasselbe ansehen.
So sprengt es dann erst recht die Vorstellungskraft, dass
der Mensch womöglich nur erfindet, was er wahrnimmt.
Es handelt sich dabei keineswegs ausschließlich um
Philosophie, sondern mit dieser Frage beschäftigt sich
die Gehirn- und Neuroforschung höchst intensiv, unter
anderem bezeichnet als „False Memory“-Effekt.
Der
Knackpunkt liegt genau darin, dass bei jeder Wahrnehmung
eben auch die höchstpersönlichen Erinnerungen,
Erfahrungen und Gefühle mitwirken. Erinnerungen wiederum
können (genau deshalb) „fehlerhaft“ sein.
Besser: Enorm von dem abweichen, was der jeweilige Mensch
tatsächlich erlebt hat. Ein Mensch ist dann felsenfest
davon überzeugt, etwas erlebt zu haben, das tatsächlich
jedoch nie stattgefunden hat . Dieser Effekt jedoch wird
im alltäglichen Leben kaum bemerkt. Allenfalls bei
Zeugenaussagen vor Gericht. |