Das
Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit, sich
in seine Mitmenschen einzufühlen, ist nicht nur der
Job von Chirurgen. Auf geistiger Ebene ermöglicht Empathie
Verständnis, Verstehen und Verbindung. Um diese Fähigkeit
zu entwickeln, ist zunächst eine andere wichtig: die
Fähigkeit, sich „von sich selbst zu lösen“.
Empathie
ist die Kunst, sich in andere Menschen „hineinversetzen“
zu können: in ihre Denk- und Sichtweise, in ihr Fühlen.
Es geht also im wahrsten Sinne darum, die Dinge „mit
anderen Augen zu sehen“. Nämlich mit den Augen
und durch die Brille des anderen.
Um diese Fähigkeit entwickeln zu können, ist es
hochgradig sinnvoll, sich zunächst einmal bewusst zu
machen, welche Denkweise eigentlich dahinter steckt: Die
Idee des „eigenen Ich“, das einem „anderen
Ich“ eines Mitmenschen gegenüberstehen (oder
auch -sitzen) würde.
Diese
üblicherweise vorausgesetzte Selbstverständlichkeit
nämlich ist keineswegs so selbstverständlich.
Japaner zum Beispiel kennen kein „Ich“, so wie
wir es hierzulande gedanklich und sprachlich in völliger
Normalität wahrnehmen und (deshalb) praktizieren. Sondern:
im Japanischen gibt es mehr als 20 Varianten für das,
was wir schlicht als „Ich“ ausdrücken,
etwa in der Form wie „Einer von Ihnen hier im Raum…“
oder „Der, der Ihnen gegenüber steht…“.
Erst
das „Ich“ als Abgrenzung erfordert die Einfühlung
Was
für uns vielleicht etwas umständlich klingt, hat
immerhin den immensen Vorteil, dass schon allein sprachlich
eine Verbindung vorgenommen wird, statt seine eigene Person
von anderen Personen und/oder von der Umgebung und/oder
der Situation abzugrenzen.
Das
heißt: Lediglich rein kulturell und sprachlich bedingt
(also: keineswegs „in der Realität“ und
„in Wahrheit“) haben wir das „Problem“,
uns in andere Menschen hineinversetzen zu müssen –
weil wir uns innerlich abgegrenzt und isoliert betrachten,
statt einbezogen und in den Gesamtkontext eingebunden.
Wie so oft im noch immer „ganz normalen“ Denksystem
eines René Descartes, anno 1619, steht man also vor
einem (Folge-)Problem, das man sich mit seiner Denkweise
selbst geschaffen hat.
Als
weiteres (Folge-)Problem in diesem Zusammenhang kommt hinzu,
wenn sich jemand „selbst treu“ bleiben, „zu
sich stehen“ und sich „nicht selbst verleugnen“
will. So jemand hat immer ein schlechtes Gewissen der Unaufrichtigkeit,
wenn er sein Denken und Verhalten an einen Menschen oder
an eine Situation anpassen soll.
Spiel
mit Identitäten: Angewandter Rollentausch
Es lohnt
sich auch hierbei, sich bewusst zu machen, dass es sich
bei dem Ganzen um lediglich angelernte und übernommene
Denk- und Sichtweisen handelt, in die wir hineingeboren
wurden. Das hilft einerseits, seine Mitmenschen besser verstehen
und sich in sie hineinversetzen zu können. Denn: Deren
Denk- und Sichtweise ist ebenfalls lediglich angelernt und
geprägt durch Elternhaus, durch ihr bisheriges „soziales
Umfeld“, sowie persönliche Erfahrungen, und muss
somit zwangsläufig individuell und „anders“
sein.
Andererseits
ist das „Spielen mit Identitäten” nicht
unbedingt gleichbedeutend mit Unaufrichtigkeit und Unehrlichkeit,
und ist nicht per se gleichbedeutend damit, einem Menschen
„nur eine Rolle vorzuspielen“, um sich einen
Vorteil zu verschaffen. Denn: Unter anderem in einem Buch
mit dem bezeichnenden Titel „Multimind“ (Robert
Ornstein) wurde erstmals beschrieben, dass ein Praktizieren
„vieler Ichs“ eine evolutionäre Notwendigkeit
ist.
Einfach
formuliert: Dadurch, dass man bereit ist, seine eigene Persönlichkeit
weniger konsequent zu vertreten, stehen sich eben nicht
mehr nur lediglich zwei (oder mehr) Personen gegenüber,
die sich über irgendetwas austauschen.
Sondern auf diese Weise wird ein Verbindungsspektrum geöffnet,
das ansonsten nicht entstehen würde; eine so genannte
„Emergenz“, mit der Möglichkeit, für
alle Beteiligten gewinnbringend zu sein.
Noch
einfacher: Wenn junge Eltern, Erzieherinnen in der KiTa
oder Grundschullehrer „die Sprache der Kinder sprechen“,
dann ist daran nichts unaufrichtig oder unehrlich. Vielmehr
ermöglicht erst das die Verbindung, die hierbei schließlich
sinnvoll und wichtig ist. |