Darwins
Werk über die „Evolution durch natürliche
Auslese“ anno 1859 hat sich mittlerweile als ganz
normale Denkweise etabliert, die der Masse der Menschen
völlig unbewusst im Hinterkopf herumspukt. Der Eindruck,
permanent „ums Überleben zu kämpfen“
führt zwangsläufig zu einer Belastung, unter der
manch einer zusammenbricht.
Die
besten Schüler haben die besten Aussichten auf die
besten Ausbildungs- und Studienplätze; die besten Arbeiter
haben die besten Aufstiegschancen; nur die besten Argumente
können überzeugen; und überhaupt: „Das
Beste ist gerade gut genug“ und „Warum mit weniger
zufrieden geben?“.
Wir
werden heute permanent und unablässig damit konfrontiert,
dass wir alles und jedes – sogar unsere Lebensweise
und uns selbst – an bestimmten Maßstäben
zu messen haben und uns daran messen lassen müssen.
Was kann ich, was habe ich, was bin ich… nicht einfach
nur per se, sondern im ständigen Vergleich zu irgendetwas
anderem, gemessen an Idealbildern, an Durchschnittswerten,
an irgend einem Optimum.
Auslese
à la Darwin heute:
Wenn es ums nackte Überleben geht
Natürlich:
Was man auch erreicht hat, es geht immer noch höher,
schneller, weiter, noch hipper und noch trendiger, noch
erfolgreicher, niemand kann alles wissen und können.
Doch das ist nicht, was uns als erstrebenswert und als Orientierung
vorgegeben wird. Der Orientierungspunkt ist, Vergleichen
und Maßstäben standhalten und „mithalten
zu können“, ganz gleich, um was es sich auch
handelt.
Dieses
Denken mit Darwin im Nacken wirkt ziemlich unterschwellig
auf eine Weise, als ginge es ums nackte Überleben.
Nicht nur wirtschaftlich, sondern um unser höchstpersönliches
berufliches, gesellschaftliches und (damit auch) soziales
Überleben.
Das
ist nichts anderes als Darwins „Evolution durch natürliche
Auslese“, Stand: 1859, in praktischer Anwendung: „Wie
überlebt ein Mensch im 21. Jahrhundert?“. Wirtschaftlich,
gesellschaftlich, sozial, und letztlich vor allem…
psychisch(?).
Heute sind bereits 4-jährige Kinder in psychotherapeutischer
Behandlung, weil sie diesem Druck nicht standhalten. Das
ist tragisch nicht nur für jedes einzelne betroffene
Kind, sondern auch für diese Gesellschaft insgesamt.
Jedoch: Das ist exact so gewollt und dient vielmehr als
erster Prüfstein für ein Leben in der gnadenlosen
„Leistungsgesellschaft”.
Manche
Menschen, die in den ständigen Vergleichen hinterher
hinken und nicht mithalten können – oder auch
lediglich den Eindruck haben, dass das so sei – kommen
da schon einmal auf die Idee, „es den anderen zu zeigen”,
denen sie scheinbar unterlegen sind. Andere scheuen vor
der direkten Konfrontation zurück und „zeigen
es“ lieber Unbeteiligten, wie dem Arbeitskollegen,
der Ehefrau, den Kindern oder Ausländern. Wiederum
andere werfen sich vor einen Zug oder „flüchten
in Scheinwelten“, wie es so schön heißt,
oder in den Drogenrausch oder auf die linke Spur der Autobahn.
Fragwürdiges
Dampfablassen
Das
Kompensieren des unterschwelligen Kampfes ums Überleben
kann also in etlichen verschiedenen Erscheinungsformen beobachtet
werden– wenn man hinsieht. Die Palette reicht von
Mobbing über „Autobahn-Drängler“ bis
zu Graffiti-Sprayereien, Alkohol-, Tabletten-, Spiel- und
Kaufsucht und noch enorm vielem anderem. Manche Menschen
geben irgendwann das Kompensieren auf und beenden ihren
Kampf durch Selbstmord, womöglich zum Abschluss eines
Amoklaufes, oder durch Daueraufenthalte in Kliniken und
Sanatorien oder wenn das Dauer-Mobbing endlich erfolgreich
war.
Wobei
in der Normalität des darwin’schen Denksystems
die einzige Hoffnung noch darin besteht, dass es rechtzeitig
auffällt, bevor jemand sich selbst und/oder anderen
Schaden zufügt. Dieselbe Normalität dieser Denk-
und Lebensweise, sowie deren Legitimation als (u.a.) „Leistungs“-
und „Wissensgesellschaft“ verhindern das jedoch
auf nahezu perfekte Weise.
Wer
hier mahnend den Zeigefinger hebt, wird schnell als Systemkritiker
in eine sehr seltsame, düstere Ecke gestellt, als sei
das jetztige System eine Errungenschaft – was natürlich
auch davon abhängt, wer womöglich einen oder mehrere
Vorteile daraus zieht, dass alles so bleibt, wie es ist.
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