Frei
nach dem Motto „Nur der Stärkere überlebt“
wird auf sämtlichen Ebenen des Lebens gedacht und gehandelt
– ohne, dass sich die Masse der Menschen darüber
bewusst ist. Und so wundert man sich über die zwangsläufigen
Folgen einer mittelalterlichen Denkweise.
In unseren
Breitengraden herrscht eine allseits geschürte Rivalität:
Es heißt, man dürfe sich nichts gefallen lassen,
müsse sich behaupten, bräuchte Durchsetzungsstärke
und Überzeugungskraft. Unter vielem anderem. Nicht
erst jedem Existenzgründer wird das Rivalitätsdenken
eingetrichtert („Sie müssen sich von der Konkurrenz
abheben“), sondern schon jedem Kind durch Notengebung
und Klassenspiegel und Markenklamotten aller Art.
Das
Konkurrenzdenken á la Darwin und „Nur der Stärkere
überlebt“ lauert also eher subtil unter der Oberfläche.
Nicht zuletzt durch die zurzeit enorm forcierte Bildungskampagne
nach dem Motto „Wissen ist Macht” als Teil unseres
„Informations- und Wissenszeitalters“, in dem
wir angeblich leben. Denn: Wenn Wissen angeblich Macht verleiht,
dann verleiht Wissen offenbar so etwas wie Überlegenheit
gegenüber anderen, weniger mächtigen oder sogar
völlig machtlosen Menschen. Darwin lässt grüßen.
Einmal
abgesehen davon, dass hierbei nicht im geringsten geklärt
wird, welches Wissen überhaupt gemeint ist: Der Ausspruch
„Wissen ist Macht“ stammt von einem Mister Francis
Bacon, dem so genannten „Vater der empirischen Wissenschaft“
im 17. Jahrhundert(!). Das sollte heute, über 400 Jahre
später, durchaus nachdenklich machen.
Mit
dem Ellbogen voraus durch sämtliche Lebensbereiche
Im Jahr
1683(!) in die Wirtschaftstheorie eingeführt von John
Locke als die „wettbewerbsorientierte Selbstbehauptung“
nach dem Grundsatz „wenn jeder Einzelne egoistisch
auf seinen Vorteil bedacht ist, haben letztlich alle etwas
davon“, ist daraus bis heute mittlerweile ein bestens
legitimiertes allgemeines Lebensmotto geworden.
So geht
die Masse der Menschen heute Hand in Hand mit Darwin nicht
nur in Geschäftsverhandlungen, zum Einkaufen in Supermärkte,
sondern sogar zu höchst privaten Rendezvous. Immer
im Hinterkopf: „Was habe ich davon?“ und „Was
bringt mir das?“.
Das permanente Vergleichen, der Zwang und Druck, mit irgendeiner
Konkurrenz mithalten zu müssen, beschränkt sich
also schon lange nicht mehr auf „die Wirtschaft“,
auf Unternehmen und ihre Benchmarks. Sondern es zieht sich
bis auf die Ebene des Privatlebens, wenn Menschen ihr Aussehen,
ihr Freizeitverhalten, Schulbildung, Beruf, Wohnort, Einkommen
und materiellen Besitz an irgendwelchen willkürlichen
Maßstäben messen.
Volkskrankheit
Rivalität
„Konkurrenz
belebt das Geschäft“ heißt ein Gerücht.
Schlimm genug wäre, wenn sich das auf „die Wirtschaft“
beschränken würde. Dumm für Unternehmen jedoch,
dass auch „der Kunde“ den Grundsatz der „wettbewerbsorientierten
Selbstbehauptung“ übernommen hat, und inzwischen
ebenfalls vornehmlich an seinen eigenen Vorteil denkt. Noch
viel dümmer, dass das Ganze eben längst über
die Wirtschaft weit hinaus auf sämtliche Lebensbereiche
übergegriffen hat.
Ein
anderes Gerücht lautet „Wissen ist Macht“,
das zwar enorm praktisch für Anbieter von vermeintlichen
(Weiter-)Bildungsangeboten, „Wissens“-Produkten
und Informationstechnologien ist. Doch sorgt sich kaum jemand
um Menschen, die aus irgendwelchen Gründen an diesem
Trend nicht teilhaben können und sich dem entsprechend
„ohne Macht“ (also: „ohn(-)mächtig“)
fühlen. Menschen, die sich irgendwann aus Überforderung
vor einen Zug werfen, ihre Arbeitskollegen mobben oder ersatzweise
ihre Ehefrau, Kinder und Ausländer verdreschen, um
in den „Genuss von Macht“ zu kommen.
Und
auch diese Folgen keimen noch weit vorher und sehr viel
subtiler unter der Oberfläche, wenn bereits 4- bis
6-jährige Kinder psychotherapeutisch behandelt werden
müssen, weil sie dem schulischen und/oder elterlichen
Leistungsdruck nicht standhalten. Schlimmer noch: Wenn die
Menschen – eben: angefangen bei 4- bis 6-jährigen
Kindern(!) – die dem herrschenden darwin’schen
Auslesedenken à la „Nur der Stärkere überlebt“
zum Opfer fallen, nicht als Anlass ausreichen, um an diesem
Denksystem etwas zu ändern. Sondern im genauen Gegenteil
diese Menschen als „schwächlich“ und „verweichlicht“
und „nicht durchsetzungsfähig“ abgestempelt
werden.
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