Seit
René Descartes – dem „ersten kritischen
Denker der Neuzeit“ – bis hin zu Immanuel Kants
Plädoyer für das „selbstständige Denken“,
gelten heute die Ratio und das Denken als das Maß
aller Dinge. Dass beides jedoch an intellektuellen Höchstleistungen
eher hindern könnte, möchte man kaum annehmen.
Der
Mensch ist ziemlich stolz auf seine Fähigkeit, Denken
zu können. Immerhin unterscheidet es ihn angeblich
– zumindest im Umfang dieser Fähigkeit –
von sämtlichen anderen Lebewesen; zumindest auf diesem
Planeten. Die Thesen René Descartes', sowie das folgende
„Zeitalter der Aufklärung“ standen unter
dem Motto, „nur die Vernunft ist in der Lage, die
Wahrheit ans Licht zu bringen“, wie auch die Französische
Revolution Ende des 18. Jahrhunderts. Auf diese Weise ist
daher auch das Selbstverständnis jeder „freien
Nation“ in westlichen Demokratien grundlegend geprägt.
Weitergedacht:
Was wird damit angefangen?
Somit
wird letztlich auch das „selbstständige Denken“
nicht erst seit Kant als Errungenschaft betrachtet: Lernen,
Wissen und Bildung gelten als ganz natürliche Grundvoraussetzungen
für Intelligenz, Zivilisation, Fortschritt, persönlichen
Erfolg und allgemeinen Wohlstand.
Bei
dieser Feststellung: Wer wollte das in Frage stellen? Jedoch
bleibt in dem Ganzen ungeklärt, welches Denken denn
eigentlich gemeint ist? Welches Lernen, welches Wissen,
welche Bildung genau? Und was genau wird (deshalb) als „intelligent“
betrachtet? Als „zivilisiert“, als „Fortschritt“
und „Wohlstand“?
Schließlich wird man sich (zumindest in unseren Breitengraden)
einig sein, dass ein „selbstständiges Denken“
in der vollen Überzeugung, sich in einem „Heiligen
Krieg“ zu befinden, und sich selbst und andere mit
Begeisterung in die Luft zu sprengen, damit nicht gemeint
ist.
Und
wenn das nicht gemeint ist, würde auch jedes Lernen
und jedes Wissen, das zu einer solchen Überzeugung
führt, ebenso wenig damit gemeint sein, wie man es
als „intelligent“ und „gebildet“
betrachten würde. Wie gesagt: in unseren Breitengraden.
Sämtliche dieser Begriffe inklusive ihrer Bedeutungen
sind also höchst relativ.
Vernunft
und Verstand: Abtrainierte Höchstleistungen
Natürlich:
Lernen ist unbestritten überlebenswichtig. Es kann
jedoch von dem Moment an hinterfragt werden, wenn es um
ein Lernen geht, das (unter anderem) der Sozialisation und
Zivilisation (dem „zivilisierten“ Denken und
Verhalten) dienen soll. Beginnend im frühesten Kindesalter
bei einem „Das macht man nicht“.
Wir haben es nämlich dann mit einem Lernen zu tun,
einem Wissen, einer Bildung und einer Intelligenz, das allesamt
einen bestimmten Nutzen haben und einen bestimmten Zweck
erfüllen soll: Denk- und Handlungsvorgaben, um als
„intelligent“, „gebildet“ und „zivilisiert“
zu gelten(!), und (damit) ein „nützliches Mitglied
der Gesellschaft” zu werden und zu bleiben.
Der
Mensch lernt hierdurch allerdings gleichzeitig, künstliche
Grenzen nicht zu überschreiten. Er lernt, Bestimmtes
gar nicht erst zu denken! Auf diese Weise werden mögliche
Höchstleistungen nicht nur verhindert, sondern mehr
noch:
Auf diese Weise wird angeborene Genialität abtrainiert!
Und zwar beginnend damit, einem Kind ein Wissen und eine
Bildung zu lehren, wie es perfekt die Schnürsenkel
bindet und brav die Hand gibt, und zwar die rechte, keinesfalls
die linke.
Savants
– die „Wissenden“: Indizien für das
wirklich Mögliche
Was
möglich ist, wenn ein Mensch geistig unfähig ist,
die „ganz normalen“ Alltags- und Lebensanforderungen
zu lernen, wird bei den so genannten „Savants“
(frz.: „die Wissenden“) erahnbar: Menschen,
die – meist authistisch – nicht in der Lage
sind zu telefonieren, einkaufen zu gehen, sich selbst die
Schuhe zuzubinden, den Wecker zu stellen und sich eine Mahlzeit
zu kochen.
Jedoch:
Nach Ansicht von Savantsforschern sind Savants eben gerade
deshalb zu „übermenschlich“ anmutenden
Leistungen in der Lage: sie lesen beide Seiten eines Buches
gleichzeitig und kennen dieses Buch nach einmaligem Lesen
komplett auswendig.
Andere Savants können zu jedem Tag ihres Lebens exact
erinnern, welches Wetter an jedem Tag herrschte, welche
Schlagzeilen am jeweiligen Tag die Medien beherrschten,
was sie am jeweiligen Tag gegessen und unternommen haben.
Wiederum andere Savants bringen sich über Nacht selbst
perfekt das Klavierspielen bei und erkennen auf einen einzigen
Blick die Anzahl der Erbsen auf ihrem Teller, ohne sie zählen
zu müssen.
Geistige
Spitzenleistungen also, die ein „normaler“ Mensch
meint und glaubt, sich erst aufwändig antrainieren
und mühsam erarbeiten zu müssen – sofern
es ihm dadurch überhaupt gelingen kann.
Tatsächlich jedoch handelt es sich um geniale Fähigkeiten,
die dem Menschen zunächst abtrainiert wurden –
zugunsten einer vermeintlichen „Intelligenz”,
eines „Wissens“ und einer „Bildung“,
um ein „nützliches Mitglied der Gesellschaft“
zu sein.
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