Wer
in seinem Leben, in Karriere und Business etwas erreichen
will, der braucht dazu Durchsetzungsstärke. Heißt
es. Aggressives Verhalten dagegen ist nur in Ausnahmefällen
sinnvoll. Gewaltausübung wiederum steht unter Strafe.
Doch wo verlaufen die Grenzen zwischen all dem?
Es ist
nicht ganz einfach, Menschen einerseits die angeblich zwingend
notwendige Durchsetzungsstärke unter die Nase zu reiben,
und den selben Menschen zu erklären, dass sie dabei
bitte nicht übertreiben und dennoch rücksichtsvoll
und fair bleiben sollen. Und das ist erstens deshalb nicht
ganz einfach, weil die Grenzen äußerst fließend
ineinander übergehen und verschwimmen, da es sich hierbei
um maximal subjektive Anforderungen und Einschätzungen
handelt. Was Herr Müller als Durchsetzungsstärke
betrachtet, beurteilt Frau Schulze als Rücksichtslosigkeit.
Zum Beispiel.
Zweitens
ist es deshalb nicht ganz einfach, weil seit dem Jahr 1683,
seit dem ein gewisser John Locke die „wettbewerbsorientierte
Selbstbehauptung“ als Grundsatz in die Wirtschaft
einführte, sich diese Einstellung à la Darwin
als absolute Normalität bis in die letzten Winkel des
Lebens verbreitet hat. Und so meint heute jeder, sich in
irgendeinem Wettbewerb zu befinden, in dem er sich durchsetzen
müsse. Beispielsweise im Kampf um einen Parkplatz oder
gegen den Nachbarn und dessen Gartenzaun.
Auslesedenken:
Darwin im Nacken
Bereits
in Kindergarten und Schule wird (wenn auch: unterschwellig)
ein darwin'sches Rivalitäts- und Auslesedenken gelehrt
und gefördert: „Nur die Besten der Besten kommen
durch“, weshalb man sich gegen seine Konkurrenten
durchsetzen müsse. Das schürt noch bestenfalls
„nur“ Neid und Missgunst, sollte sich der Konkurrent
anhand irgendwelcher Maßstäbe als „besser“
erweisen oder wenn bereits die gesetzten Maßstäbe
ein Problem darstellen.
Was
in der Regel noch relativ harmlos als Frustration gegenüber
sich selbst beginnt, führt oftmals zur Aggression gegen
andere. Hierbei werden Menschen gleich mehrfach Opfer eines
Denksystems des „Wenn->Dann“ nach dem „Ursache->Wirkung“-Prinzip
á la Newton in Verkettung mit dem „Entweder-Oder“
eines Descartes: Menschen suchen nach Ursachen – und
finden deshalb auch welche.
So wird
„die Ursache“ für die eigene Misere und
das „Versagen“ gegenüber der Konkurrenz
in aller Regel auf irgendetwas projeziert, mit dem man selbst
nicht viel zu tun hat, für das man selbst nichts kann
und dem man daher ausgeliefert ist: irgendeine Chancenungleichheit
oder Ungleichbehandlung, zum Beispiel, deren Opfer man ist.
Auf diese Weise entwickelt ein Mensch nicht selten eine
Aggression gegen den speziellen Konkurrenten und/oder gegen
das, was man für „die Ursache“ der vermeintlichen
Ungleichbehandlung hält.
Erst
recht tragisch wird es, wenn sich jemand so sehr als Opfer
fühlt, dass er keine Möglichkeit sieht, an der
Situation etwas zu ändern. So jemand fühlt sich
schnell ohnmächtig (= „ohne Macht“) und
gezwungen, auf andere Art und Weise Macht auszuüben.
Zum Beispiel auf der linken Spur der Autobahn oder indem
er auf Gegenstände und/oder Mitmenschen eindrischt.
Die
Ansicht, man hätte es mit Zuständen zu tun
Wird
ein Mensch erst dann und dadurch auffällig, neigt man
in aller Regel dazu, ihn als „aggressiv“ zu
bezeichnen, als „gewaltbereit“, im verheerendsten
Fall als (quasi von Natur aus und genetisch bedingt) „gewalttätig
veranlagt“ oder auch „psychisch labil“
– was besonders einfach ist, um darüber nicht
weiter nachdenken zu müssen.
Hierbei findet eine ziemlich naive und grob fahrlässige
Zuschreibung von Charaktereigenschaften statt, wonach ein
Mensch schlicht und einfach aggressiv ist und ein sehr großes
Problem hat. Ein hochgradig simplifiziertes Reduzieren auf
einen bestimmten (Geistes-) Zustand.
Tatsächlich
jedoch wirken hierbei keine solchen oder andere Ursachen
und keine Zustände, auch wenn man sie nach dem üblichen
„Wenn->Dann“-Denken sucht und somit auch
meist findet. Vielmehr handelt es sich um Gegen- und Wechselwirkungen
und daher nicht um irgendwelche Zustände, sondern um
Prozesse, die sich eben niemals auf bestimmte Ursachen reduzieren
lassen.
So ist ein Jugendlicher eben nicht per se aggressiv und
wird nicht etwa dadurch zwangsläufig zu einem Kriminellen.
Er hat vielmehr mit etlichen vernetzten Einflüssen
zu tun, durch die er gelernt(!) hat, wie er in seiner Situation
am besten zurecht kommt.
Das
Ganze ist analog übertragbar auf sämtliche Ebenen:
Mobbing ist demnach auch nur dort überhaupt möglich,
wo die Strukturen sich dafür eignen und das Entstehen
zulassen. Exact deshalb ist es von gewalttätigen Jugendlichen
über Autobahn-Raser, Graffity-Sprayereien bis zu Mobbing
zudem absolut sinnlos, ein einzelnes, jeweiliges Delikt
zu ahnden.
Weshalb es genau so wenig sinnvoll ist, die jeweiligen Menschen
dann in (z.B.) Therapien oder Workshops zu stecken, damit
sie das „falsche Verhalten“ erkennen und abstellen
und das „richtige Verhalten“ erkennen und übernehmen.
Bei solchen Ideen wird das mittelalterliche Denksystem praktiziert,
das „Wenn->Dann“, das Suchen und vermeintliche
Finden und vermeintliche Abstellen vermeintlicher Ursachen;
die eben… keine sind.
Zwangsläufige
Folgen eines Jahrhunderte alten Denkens
Auf
Grund des prekären Anwendens des „Ursache->Wirkung“-Denkens
in Verbindung mit dem „Entweder-Oder“ wird auch
in Fällen von Aggression und Gewalt davon ausgegangen,
es gäbe einen „Aggressor“ einerseits und
ein „Opfer der Aggression“ andererseits, frei
nach dem „Reiz->Reaktions“- und „Sender->Empfänger“-Schema.
Das Verhindern und Abstellen der Auswirkungen wird dann
mit dem selben Fehldenken veranstaltet.
Deutlich
sinnvoller wäre es, dieses völlig überholte
Denksystem des 17. Jahrhunderts grundsätzlich ad acta
zu legen, um jedes „Aggressionspotenzial“, wie
es gern genannt wird, gar nicht erst entstehen zu lassen,
statt nur an den Symptomen herumzudoktern.
Unter
vielem anderem: in dem das allseits herrschende und als
„Normalität” etablierte Rivalitäts-
und Auslesedenken à la Darwin hinterfragt wird, sowie
das daraus entstehende und daran orientierte Denken und
Verhalten, sowie die Beurteilung und Bewertung des Ganzen
nach dem üblichen „Entweder-Oder“ und „Wenn->Dann“.
|