Wie
es heißt, leben wir in einem „Zeitalter des
Chaos und der Komplexität“. Womit ausgedrückt
werden soll, dass bislang stabile und dauerhafte und liebgewonnene
Strukturen in Auflösung begriffen sind bzw. sich bereits
aufgelöst haben. Statt sich jedoch näher damit
zu beschäftigen, wird deutlich lieber das „Durcheinander“
beklagt.
Angesichts
der Rasanz der Veränderungen „da draußen
in der Welt“ herrscht inzwischen schon seit mehr als
zehn Jahren der Eindruck, man verliert den Überblick.
Und damit gleichzeitig auch jede Klarheit und Sicherheit
früherer Zeiten und im Hinblick auf die Zukunft.
Kein
wirkliches Wunder. Wechselten Trends und Moden früher
noch in ziemlich überschaubaren Intervallen, existieren
heute etliche verschiedene Trends gleichzeitig, parallel
und nebeneinander. Die Menge an Alternativen und Variationen
und technichen Innovationen war noch nie so groß wie
heute und nimmt noch permanent weiter zu. Es gab noch nie
eine solche Menge von Fernsehsendern, Fach- und Sparten-Magazinen,
noch nie forschten so viele Wissenschaftler wie heute, nie
war die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Lage unübersichtlicher als heute. Allesamt: Tendenz
zunehmend.
Vom
überschaubaren Leben zur „Bastel-Existenz“
Bereits
im Jahr 1998 stellte der Soziologe Richard Sennett „das
Ende der Normal-Biografie“ fest, die bei immer mehr
Menschen durch eine „Patchwork-Biografie“ ersetzt
wird. Das heißt: Hatte man früher noch mit einer
Ausbildung bzw. einem Studium eine ziemlich gesicherte Erwerbslaufbahn
vor sich, in der man seinen erlernten Beruf in ein und dem
selben Unternehmen bis zur Pension ausübte, ist diese
frühere „Normal-Biografie“ inzwischen passé.
Und
damit ebenso passé: Die früher dauerhafte Bindung
an einen Wohnort, an ein soziales Umfeld, Freundes- und
Bekanntenkreis. Inzwischen dominiert die „Patchwork-Biografie“,
die gern auch als eine Art „Bastel-Existenz“
betrachtet wird. Hierin sind sämtliche dieser früher
stabilen Lebensbereiche hochgradig instabil.
Menschen üben nun nicht mehr lebenslang ihren erlernten
Beruf aus, sondern stellen lediglich noch ihre Arbeitskraft
zur Verfügung: wem auch immer, wo auch immer, wie lange
auch immer. Das Berufs- und damit auch Privatleben wird
zum „Flickenteppich“ („Patchwork“).
Was
auf der einen Seite etwas verharmlosend als „Flexibilität“,
als „größere Freiheit“ und „individuellere
Lebensgestaltung“ bezeichnet wird, ist ein ernsthaftes
Problem von Druck, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit.
Und zwar eben keineswegs lediglich beruflich, sondern damit
auch privat: Die Menschen haben keinerlei Planungssicherheit
mehr, wie ihr Leben in ein paar Jahren und wie ihr Lebensabend
aussehen wird.
Zudem:
Es gehen damit auch die Merkmale verloren, die sowohl nach
außen hin als auch für den jeweiligen Menschen
selbst das ausmachten, was man „Karriere“ nennt.
Nämlich eben den allmählichen Aufstieg innerhalb
eines Unternehmens.
Während das bisherige berufliche Erfolgsmodell ein
kontinuierlicher Aufstieg war, muss inzwischen von Auf-
und Abschwüngen, also so etwas wie einer „persönlichen
Konjunktur“ ausgegangen werden.
Vom
Berufsausübenden zum „Manager in eigener Sache“
Die
fragwürdige Aussicht, jederzeit einen völlig anderen
Job in einem völlig anderen Unternehmen an einem völlig
anderen Ort übernehmen zu müssen oder sogar eine
ganze Weile ohne Job zu sein, geht nicht nur auf Kosten
privater Beziehungen, der Lebensqualität und des Lebensstandards.
Sondern gleichzeitig produziert das einen enormen psychischen
und Leistungsdruck, ob und wie sich möglichst lange
der aktuelle Job und der aktuelle Lebensstandard halten
lässt.
Gefordert
wird von Arbeitnehmern zunehmend (wenn auch: unterschwellig)
eine Art „Unternehmertyp“, der sich um die wichtigsten
Belange seiner Berufslaufbahn lebenslang selbst kümmert
und somit vom Arbeiter zum „Manager in persönlichen
Angelegenheiten“ wird.
Damit wird völlig ignoriert, dass nicht jeder das geeignete
Temperament dazu hat. Zum anderen wirkt sich das natürlich
entsprechend auf die heutige Jugend aus, der überhaupt
nicht mehr klar ist und nicht klar gemacht werden kann,
welchen Beruf sie erlernen sollen und warum überhaupt.
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