Bildung
und Wissen sind inzwischen zu einer Ware geworden. Waren
wiederum haben es an sich, dass sie verkauft werden müssen.
Und genau das geschieht zurzeit: Etliche Kampagnen, von
PISA-Studien über Quizshows im Fernsehen bis zur staatlichen
„Bildungsoffensive“, lenken sehr erfolgreich
von der eigentlichen Kernfrage ab.
Inzwischen
hat jeder Fernsehsender mindestens eine, meist mehrere Quizshows
im Programm. Bildung und Wissen sind „hip“,
sind „angesagt“ und liegen im Trend. Mehr denn
je. Schon seit etlichen Jahren wird das „lebenslange
Lernen“ als Kennzeichen unseres Informationszeitalters
propagiert: Die Schul- und berufliche Ausbildung reichen
demnach nicht mehr aus, es gilt sich permanent fort- und
weiterzubilden.
Erst recht, seit dem die so genannten „PISA“-Studien
veröffentlicht werden – internationale Leistungsvergleiche
von 15-jährigen Schülern, um deren „alltags-
und berufsrelevante Fähigkeiten und Kenntnisse zu messen“,
wie es offiziell heißt – in denen deutsche Kinder
regelmäßig unterdurchschnittlich bis kläglich
abschneiden.
Seltsame
Prioritätensetzung mit fragwürdiger Relevanz
Genau
dieses kleine Detail der „PISA“-Studien wird
übrigens allenfalls nebenbei, wenn überhaupt erwähnt:
Es werden ausschließlich 15-jährige Kinder getestet;
und zwar ausschließlich in den drei Bereichen „Lesekompetenz“,
Mathematik und Naturwissenschaften.
Das ist, was hochoffiziell als „alltags- und berufsrelevant“
gilt und getestet wird – und ansonsten: nichts. Der
Masse der Menschen wird dagegen suggeriert, als ginge es
in den „PISA“-Studien a) um quasi alle Bildungs-
und Wissensbereiche, und b) würden die Ergebnisse den
allgemeinen Bildungsgrad „der Deutschen“ offenbaren.
Mit
diesem von allen möglichen Stellen geförderten
Missverständnis wurden und werden „Bildungs“-Kampagnen
und „Wissens-Offensiven“ und Quizshows und Produkte
ohne erkennbares Ende verkauft. Unter anderem diese „PISA“-Studien
zeigen, was hochoffiziell als relevant und wichtig betrachtet
wird: „Lesekompetenz“, Mathematik und Naturwissenschaften.
Wer das(!) beherrscht, gilt als „gebildet“,
wer es nicht beherrscht, ist demnach ungebildet.
Vergleichsweise
irrelevant und unwichtig sind demnach also sämtliche
sonstigen Fähigkeiten und Kenntnisse eines Menschen:
Kreativität, soziale Kompetenz, Team-Fähigkeit,
Motivation, Verantwortungsbewusstsein, etc, etc. Weil das
natürlich größtmöglicher Unsinn ist,
sind auch die Ergebnisse der „PISA“-Studien
mehr als fragwürdig; mit einer Relevanz, die gegen
Null tendiert. Es wird den Menschen nur nicht gesagt, weil
sich das Ganze prima für alles mögliche verwenden
lässt.
Die
unbeantwortete Frage nach der Relevanz
Das,
was hierdurch gefördert wird, sind in erster Linie
erst einmal ein fragwürdiger Leistungsdruck in Verbindung
mit dem gleichzeitigen Schüren von Versagens- plus
Zukunftsangst in Verbindung mit einem Rivalitäts- und
Auslesedenken à la Darwin:
Was den Menschen nachdrücklich von Politik, Medien
und Wirtschaft gleichermaßen unter die Nase gerieben
wird, ist eine Denkhaltung nach dem Motto „je mehr
Bildung, desto besser“.
Und
wer das nun so liest, erklärt sich unter dem Eindruck
der laufenden Kampagnen auch sehr schnell damit einverstanden.
Schließlich weiß man längst: „Wissen
ist Macht“. Wobei sich exact bereits schon an dieser
Stelle zeigt, wie Bildung und Wissen aufgefasst werden:
mit der über 400 Jahre alten Denkweise eines Francis
Bacon, der im Jahr 1607 das Verfahren der Empirie erfand
und den Spruch „Wissen ist Macht“ prägte.
Sowie
mit der Denkweise eines Adam Smith, der im Jahr 1776(!)
erklärte, dass „mehr Bildung“ auch „mehr
Wohlstand“ bringen würde, weshalb (u.a.) eine
allgemeine Schulpflicht notwendig sei. Dieser Hintergrund
einer steinalten Denkweise wird in aktuellen Diskussionen
genau so unterschlagen wie die nicht ganz unbedeutende Frage,
welches Wissen und welche Bildung eigentlich gemeint sind,
und welche Relevanz das eigentlich haben soll(?).
Gemeint
sind eben keineswegs eine Bildung und ein Wissen, das dem
einzelnen Menschen irgendwie hilft und für ihn relevant
sein könnte. Sondern gemeint ist durchgehend und ausschließlich
eine Bildung und ein Wissen, das dem herrschenden System
nützt. Genauer: in erster Linie dem „Standort
Deutschland“ und der Konjunktur im Allgemeinen und
der Wirtschaft im Besonderen.
Die
Menschen müssen zwangsläufig „nützliche
Mitglieder der Gesellschaft” sein, damit die installierten
Systeme nicht in sich zusammenfallen. Und die Betonung liegt
dabei auf: „nützlich“. In ein paar Jahren
zum Beispiel werden laut Prognosen noch eine ganze Menge
mehr Ingenieure benötigt. Was Bundesbildungsministerin
Annette Schavan prompt dazu veranlasste, in den nächsten
Jahren „Technik und Forschung“, speziell Physik
bereits in Kindergärten und Kindertagesstätten
vermitteln zu lassen. Um dadurch „Hemmschwellen zu
senken, insbesondere hinsichtlich der späteren Studien-
und Berufswahl“, wie Schavan beim „Wissenschaftssommer
2006“ in München meinte.
Demnach ist „relevant“, was nützlich ist.
Und zwar erst in zweiter Linie für den einzelnen Menschen
selbst, der durch eine nützliche Bildung seine Chancen
auf dem Arbeitsmarkt vorerst erhalten kann. Zumindest so
lange, bis eine andere Bildung und ein anderes Wissen nützlicher,
weil gefragter sind.
Wenn
auf den Menschen fröhlich gepfiffen wird
„Relevant“
ist demnach also keine künstlerische Bildung, keine
literarische, keine dichterische, keine musische, schon
gar keine philosophische. Und „relevant“ ist
keine Bildung, die ganz generell die Kultur betrifft und
das Miteinander in der Gesellschaft fördert. Sondern
„relevant“ ist einzig und allein, was den „Standort
Deutschland“ sichert, die Konjunktur am laufen hält,
und dafür in Forschung und Wirtschaft benötigt
wird. Es sind eben… Stellen zu besetzen.
Kurz:
Es geht eben nicht darum, dass Kinder erst einmal für
sich selbst entdecken, was sie interessiert und wo ihre
Talente liegen. Es geht nicht darum, dass Menschen ihren
Beruf als Berufung ausüben können, und darin so
etwas wie Erfüllung finden.
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