Wenn
jemand etwas „nicht einkalkuliert“ und mit irgendetwas
„nicht gerechnet“ hat, dann deutet das bereits
auf die Dominanz der Zahlen im Denken (damit auch: im Handeln)
hin. Selbst wenn es noch so realitätsfern ist: Zahlen
beeinflussen die Denkweise. Mitunter: gehörig. Oftmals:
unbemerkt.
Die
Motivation eine Sir William Petty im Jahr 1676 bei seiner
Erfindung der Wirtschaftstheorie war es, den Handel zwischen
Menschen von allem „nur Subjektivem“ zu befreien
und auf das Fundament einer reinen „Objektivität“
zu stellen.
Kurz: So etwas wie Fairness, Rücksichtnahme, Verständnis
und Moral sollten den Handel nicht mehr länger „stören”.
Um das zu erreichen, führte Petty Maße, Mengen
und Gewichte in seine Wirtschaftstheorie ein. Also Zahlenwerte,
die fortan bestimmen sollten, was zu tun und zu lassen ist.
Und das gilt. Seit 1676. Bis heute.
Was
Petty damals u.a. nicht vorausgeahnt hat und noch heute
offenkundig völlig unterschätzt wird: „Die
Wirtschaft“ ist eben kein eigener Kosmos! Und so haben
sich die Grundsätze der Wirtschaftstheorie über
die Generationen bis in die letzten Winkel der Gesellschaft,
bis ins Privatleben hinein verbreitet und als Normalität
etabliert.
Wenn
Zahlen regieren und das eigene Denken ersetzen
Der
„ganz normale“ Sprachgebrauch verdeutlicht dieses
mittelalterliche Denken, vorausgesetzt man macht es sich
bewusst: „Damit habe ich nicht gerechnet“ zum
Beispiel bezieht sich auf das Kalkulieren und Berechnen
einer Entscheidung und/oder Situation. Ein berechendes Kalkül,
das im Umgang mit Menschen (z.B. eben im Handel) eine absolute
Normalität ist, sei sie auch noch so unbewusst.
Das
Beschränken auf Maße, Mengen und Gewichte –
also: auf physikalische(!) Größen – zeigt
sich ansonsten, wenn etwas „schwerwiegend“ und
„belastend“ ist, wenn von irgendeinem „Druck“
die Rede ist, und irgendwo der „Hebel angesetzt“
werden müsse.
Nicht zuletzt: Immer auch dann, wenn es darum geht, irgendetwas
zu „messen“, was de facto nicht messbar ist.
Intelligenz und sonstige Fähigkeiten, das Wählerverhalten
oder auch die Kundenzufriedenheit, zum Beispiel. Schulnoten
gehören genauso dazu, wie die Ergebnisse jedes Eignungstests
und jeder Umfrage. Auf der ganz privaten Ebene auf die Spitze
getrieben durch fragwürdige Psychotests in Zeitschriften
und eher amüsante Lügendetektortests in Nachmittags-Talkshows.
Jedoch:
Die Menschen glauben daran! Von Politiker über den
Manager bis zu „Otto Normalmensch“ glaubt die
Masse der Menschen, es ließe sich nahezu alles mögliche
auf irgendeine magische Weise auch in Form von Zahlen ausdrücken.
Die Frage, inwieweit und ob das überhaupt möglich
ist, wird heute inzwischen gar nicht erst gestellt. Man
vertraut irgendwelchen Experten, deren Formeln und Computeranalysen.
Ohne zu wissen - geschweige denn: danach zu fragen –
mit welchen Zahlen überhaupt gerechnet wird, mit welchen
Formeln und warum genau so und nicht anders. Die eigentliche
Relevanz der Zahlen wird in keiner Weise hinterfragt. Zu
beeeindruckend sind die Tortengrafiken und Fachbegriffe
der Experten, die von der Kernfrage sehr erfolgreich ablenken.
„Die
Zahlen lügen nicht“. Vor allem, weil sie nichts
sagen.
Zurzeit
wird bundesweit nach 172 Terroristen und Straftätern
polizeilich gesucht. Die Gesuchten sind durchschnittlich
1Meter82 groß, durchschnittlich 79 Kilo schwer, 72%
sind dunkelhaarig, 41% haben grüne Augen. Also bitte
Vorsicht, sollten Sie einem davon begegnen!
Das war Satire. Wer darüber geschmunzelt hat, müsste
das bei den nächsten Ergebnissen von Meinungs- und
Wahlumfragen ebenso tun.
Und wer an die Beweiskraft solcher Zahlen glaubt, müsste
sich die Frage stellen, warum er einfach so mit dem Auto
zu seinen Terminen fährt, ohne sich vorher die neuesten
Unfallstatistiken anzusehen.
Der
erste Knackpunkt ist: Zahlen beeinflussen die Denkweise.
Und zwar sowohl im Positiven, wie auch im Negativen. Negative
Effekte sind, wenn Menschen durch den Filter von Statistiken
gejagt und dadurch zu „bedauerlichen Einzelfällen“
gemacht werden, für die man „leider nichts tun
kann“. Positive Effekte sind, wenn Statistiken über
einen angeblichen Treibhauseffekt zu einem „umweltbewussten“
Denken und Verhalten führen.
Der
zweite Knackpunkt ist: „Die Zahlen lügen nicht“,
wie es oft so schön heißt, wenn auf angebliche
„objektive“ Zahlen, Daten und Fakten hingewiesen
wird. Es stimmt, dass Zahlen nicht lügen – sie
können es schon deshalb nicht, weil sie nichts aussagen.
Denn: Zahlen haben keinerlei Sinn und nicht die geringste
Bedeutung! Sondern Sinn und Bedeutung werden den Zahlen
zugeschrieben(!), nämlich indem man sie interpretiert
und dabei in einen Zusammenhang stellt. Das wiederum ist
ein zu 100% subjektiver, willkürlicher Vorgang,
der dann anschließend mit dem Verweis auf die daraus
resultierenden Zahlen trickig als „objektiv”
erklärt wird.
In der
Praxis sieht das dann (u.v.a.) so aus, dass sich Menschen
von einer statistisch gestiegenen Gewalt in ihrer Stadt
bedroht fühlen, verängstigt sind und kaum noch
auf die Straße gehen. Eine statistisch gesunkene Gewaltrate
dagegen vermittelt Sicherheit und wird ganz gern von Politikern
als Argument verwendet.
Jedoch: Selbst Kriminologen weisen darauf hin, dass es kaum
möglich ist, den Begriff „Gewalt“ überhaupt
zu definieren. Psychologische Gewalt in Firmen oder bei
Nachbarschaftskonflikten taucht in solchen Statistiken etwa
gar nicht erst auf. Reine Interpretationssache ist zum Beispiel
auch, ob „Autobahnraser“ mit ihrer Lichthupe
bereits (psychologische) Gewalt ausüben.
Apropos
Gewalt, Zahlen und Statistiken: Wussten Sie schon, dass
– natürlich rein statistisch gesehen –
der Vatikanstaat die höchste Kriminalitätsrate
der Welt hat? Im Jahr 2008 jedenfalls gab es dort 549 Zivilprozesse
und 486 Strafverfahren. Und das bei noch nicht einmal 500
Einwohnern.
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