Wir
leben in einem freien Land, in dem prinzipiell jedem Menschen
sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung stehen:
Jeder hat die freie Wahl welche Meinung und welche Überzeugung
er vertritt, welchen Bildungsgrad er sich zulegt, welchen
Berufsweg er einschlägt und wie er ganz generell sein
Leben gestaltet. Jedoch: von wegen.
Früher
wollten Kinder Lokführer werden oder Feuerwehrmann,
heute dagegen eher Programmierer oder Astronaut. Wer meint,
dass das zu den ganz normalen Randerscheinungen eines Zeitalters
zählt, sollte idealerweise noch ein/zwei Blicke unter
diese Oberfläche werfen. Der eigentliche Knackpunkt
nämlich ist das Denksystem, das jeweils vorgibt, was
möglich und erreichbar erscheint.
Als
erste vorweggenommene Anregung: Ein Gymnasiast, der ganz
gerne „Glücksforscher“ werden möchte,
hat mindestens ein Problem. Es gibt dafür weder eine
anerkannte Berufsausbildung noch einen Studiengang; demnach
handelt es sich auch um keinen anerkannten Beruf. Einmal
ganz davon abgesehen, dass dieser Schüler damit zu
rechnen hätte, nicht wirklich ernstgenommen zu werden.
Man würde ihm sicher dringend raten, einen „richtigen
Beruf“ zu wählen.
Scheinbar
freie Auswahl aus einer präsentierten Palette
In früheren
Zeiten durchaus üblich, anerkannt und sogar angesehen
waren zum Beispiel der „Privatgelehrte“, der
sich seine akademische Bildung selbst zulegte (und dafür
großen Respekt erntete) oder auch der „Polyhistor“,
der „Vielwisser“ und „Universalgelehrte“,
der dasselbe tat, jedoch gleich auf mehreren Fachgebieten.
Inzwischen hat es sich durchgesetzt, dass die Selbstaneignung
von Wissen und Bildung keinen besonders großen Stellenwert
mehr hat, sondern verliehene Titel und akademische Grade
zählen. Genauer: Das wurde so durchgesetzt und auf
diese Weise zur heutigen Normalität.
Diese
Normalität ist deshalb ganz generell eine nur scheinbare
freie Auswahl. Denn die Möglichkeiten, aus denen „frei
gewählt“ werden darf, sind vorgegeben.
Das beginnt bereits im frühesten Kindesalter, wenn
der Unterricht an der Grundschule in verschiedene Fächer
aufgeteilt ist: Ein Kind kann dann allenfalls noch „wählen“,
ob es sich trotz fehlender sprachlicher Begabung für
das Lernen von Englisch interessieren will. Libanesisch
oder Pakistanisch ist dagegen nicht möglich zu lernen.
Und das hat natürlich Gründe.
Das
führt sich weiter über die beiden Möglichkeiten,
entweder eine Lehre zu machen oder ein Studium zu beginnen.
Wobei die subtile Möglichkeitenbegrenzung in der Vielfalt
der Berufe versteckt liegt. Denn siehe oben: Es ist darin
schlicht und einfach nicht vorgesehen und deshalb scheinbar
nicht möglich, Glücksforscher zu werden. Zum Beispiel.
Vielmehr jedoch ist es… einfach nicht erwünscht.
Für
den Zweck und Nutzen: Keine Frage der Sinnhaftigkeit
Mitte
2006 plante die Bundesbildungsministerin Annette Schavan,
bereits Kleinkinder „für Naturwissenschaften
zu begeistern“. Auf dem Forum des „Wissenschaftssommers
2006“ in München erklärte sie das Ziel,
(z.B.) Physik bereits in Kindergärten und Kindertagesstätten
unterrichten zu lassen.
Wie Schavan meinte: „Dadurch könnten Hemmschwellen
gesenkt werden, auch hinsichtlich der späteren Studien-
und Berufswahl“. Sie hätte natürlich auch
sagen können, den Kindern soll etwas schmackhaft gemacht
werden. Das Land braucht u.a. mehr Physiker und Ingenieure.
Der
Punkt ist: Menschen sollen im Sinne des (vor allem Wirtschafts-)
Systems ein „nützliches Mitglied der Gesellschaft”
sein. Daraufhin ist der Lebensweg bereits von Kindheit an
ausgerichtet und vorgegeben. Nicht erst durch die Palette
von Schulfächern und Berufen, sondern bereits durch
das, was als „wichtig für das Leben“ deklariert
wird.
Denn: Es sind Funktionen zu besetzen, damit dieses System
und diese Gesellschaft… funktionieren. Vom Atomphysiker,
Arzt und Rechtsanwalt über selbstständige und
angestellte Bäcker, Metzger, Schreiner und Kfz-Mechaniker
bis zum Müllmann und zur Putzfrau. So etwas wie (u.v.a.)
„Glücksforscher“ wird darin… nicht
gebraucht.
Es geht
also weniger bis gar nicht darum, dass Menschen irgendeinen
Sinn in ihrem Tun und Dasein sehen. Es geht in erster Linie
darum, dass sie einen Zweck erfüllen, in dem sie idealerweise
auch einen Sinn erkennen. Falls nicht, dürfen sie in
ihrer Freizeit danach suchen. Auch dafür gibt es eine
Palette von Möglichkeiten. |